Frau Paula Trousseau
Das ist ein schöner Beruf, Paula. Und in dem halben Jahr willst du daheim wohnen bleiben? Schaffst du das?«
»Warum nicht? Ist doch nur ein halbes Jahr.«
»Es gibt andere Möglichkeiten. Ich könnte dir helfen, im betreuten Wohnen unterzukommen. Da wohnen fünf, sechs Mädchen zusammen in einer Wohnung, und ihr habt eine Betreuerin, die nur für euch da ist.«
»Ich gehe nicht ins Heim.«
»Es ist kein Heim, Paula. Eine Wohngemeinschaft mit Betreuung. Da wärst du mit Mädchen zusammen, die es zu Hause nicht mehr aushielten. Ich habe meine Erfahrungen. Wenn ein Mädchen in deinem Alter so was macht, dann stimmt meistens zu Hause etwas nicht. Diese Mädchen versuche ich dann aus der Familie herauszunehmen. Ich kann mit deiner Mutter oder mit deinem Vater sprechen.«
»Das ist zwecklos. Und in ein Heim gehe ich nicht.«
»Es ist kein Heim. Wenn du willst, können wir uns eine solche Wohnung einmal ansehen. Es wird dir gefallen.«
»Kann ich mir eine Zigarette nehmen?«
»Bitte. – Du hast den Krankenschein gefälscht, Paula.«
»Habe ich nicht.«
»Hast du. Ein Krankenschein ist eine Urkunde, und wenn du da etwas veränderst, auch nur eine einzige Zahl, so ist das eine Urkundenfälschung. Verstehst du, was das bedeutet?«
»Ich habe an diesem verdammten Schein nichts verändert. Ich habe ihn genau so abgegeben, wie ich ihn bekam. Vielleicht haben die im Krankenhaus sich geirrt und etwas Falsches hingeschrieben, was weiß ich.«
»Du hast aus einer Drei eine Acht gemacht. Du wolltest nicht, dass man am Krankheitsschlüssel erkennt, was du getan hast. Das ist sehr dumm.«
»Ich habe es so satt. Ich will nicht mit tausend Leuten darüber sprechen. Warum kann man mich nicht einfach in Ruhe lassen?«
»Es gibt ein zusätzliches Problem, Paula. Ich war vorgestern in deiner Schule, ich wollte mit deiner Klassenlehrerin sprechen und mit deinem Direktor.«
»Warum denn das! Ich will das nicht. Wenn Sie mir helfen wollen, dann quatschen Sie nicht überall über mich. Das wäre eine Hilfe.«
»Ich habe mit ihnen nicht gesprochen. Noch nicht. Der Schuldirektor ist dein Vater, nicht wahr? Eigentlich müssten wir deine Schule informieren, das ist unsere Pflicht, aber in deinem Fall … Ich weiß noch nicht, wie wir entscheiden werden, das muss ich mit Doktor Reddach absprechen. Schließlich wollen wir dir nicht schaden, sondern helfen.«
»Ist mir doch egal.«
»Und wir werden es auch nicht an deinen zukünftigen Lehrbetrieb weitermelden. Deine Ausbildung als Krankenschwester wäre gefährdet. Suizidgefährdete Krankenschwestern, das haben die Krankenhäuser nicht gern. Die müssen sich darauf verlassen können, dass mit den Medikamenten gewissenhaft umgegangen wird. Doktor Reddach meint, dass du nicht mehr gefährdet bist. Er glaubt, du hast etwas gelernt. Er legt die Hand für dich ins Feuer, enttäusche ihn nicht.«
»Ist das alles? Kann ich jetzt gehen?«
»Doktor Reddach hat sich sehr für dich eingesetzt. Das ist sehr mutig von ihm, ich hoffe, du weißt das zu schätzen. Bitte überlege dir das mit dem betreuten Wohnen. Wir glauben hier alle, es wäre für dich das Beste.«
»Was für mich das Beste ist, weiß ich selber. Dazu brauche ich keinen Rat.«
»Lebst du denn nicht gern, Paula?«
»Was soll denn das? Was ist denn das für eine Frage?«
»Du hast dein ganzes Leben noch vor dir. Du wirst noch wunderbare Dinge erleben.«
»Jaja.«
»Du hast bald einen Beruf, den schönsten Beruf der Welt. Du verdienst dein eigenes Geld, du wirst einen Freund haben, wirst Kinder bekommen. Eines Tages wirst du darüber lachen, über das, was du dir beinahe angetan hättest. Oder du wirst darüber traurig sein, wie unglücklich du einmal warst. Das Leben ist nämlich schön, Paula, sehr schön.«
»Ja, und es hat zum Glück Alternativen.«
»Was meinst du damit?«
»Nichts. Ist nur so ein Witz. Sagen alle auf dem Schulhof.«
»Solche Witze solltest du nicht machen. Das ist kein Witz bei einem Mädchen, das Tabletten geschluckt hat.Wenn es dir wieder schlecht geht, dann denk auch an Doktor Reddach, er hat seinen Arsch für dich verwettet, Mädchen. Es gibt Leute, die auf dich setzen, die an dich glauben, denk daran.«
»War nicht so gemeint. War wirklich nur ein Witz, glauben Sie mir. Kann ich jetzt gehen?«
»Natürlich. Wir sehen uns nächste Woche, da ist Doktor Reddach wieder da. Und du überlegst dir das mit dem betreuten Wohnen? Es ist gar nicht so einfach für mich, da einen Platz zu
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