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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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nur, dass du ein Idiot bist.«
    Sie war wütend auf ihn und verkündete, dass ihre Freundschaft damit beendet sei, aber drei Wochen später ließ sie sich überreden, mit Thorsten durch die Stadt zu spazieren. Sie schliefen auch wieder miteinander, aber erst, nachdem er ihren wiederholten Aufforderungen nachgekommen war und sich bei ihr entschuldigt hatte, obwohl ihm überhaupt nicht klar war, wofür.
3.
    Im Juni, zwei Tage nach einem der Abendempfänge, rief mich Sibylle Pariani an. Sie war die Frau eines Professors für Ökonomie, die beiden gehörten zu unserem Kreis, kamen sehr regelmäßig und wohnten in einem Haus inRosenthal. Er lehrte an der Hochschule für Ökonomie und an der Humboldt-Universität und beeindruckte mich durch seinen Zynismus. Bei unseren Gesellschaften gab er laufend bösartige politische Bemerkungen von sich, sehr bitter und witzig, über die alle lachten. Manchmal hatte mich Marco Pariani gebeten, ihn nicht zu zitieren und schon gar nicht in der Schule, denn dann würde er ein wenig Ärger bekommen, aber mich würde man exmatrikulieren. Darauf hatten wieder alle gelacht, ich lachte ebenfalls, obwohl ich von diesen Äußerungen verwirrt war. Das war eine neue Welt für mich. Wenn wir uns trafen, witzelten und spotteten sie über all das, was sie tagsüber als Hochschullehrer oder Staatsangestellte zu unumstößlichen und heiligen Wahrheiten erklärt hatten. In unserem Kreis gab es kein Ereignis, über das sie nicht ironisch oder boshaft herzogen, über die Politik sprachen sie stets abfällig, über die Presse amüsierten sie sich. Ich war überrascht, weil sie nicht anders als meine Freunde und Kommilitonen redeten, und ich war so naiv gewesen zu glauben, sie seien von dem überzeugt, was sie uns erzählten.
    Damals im Juni war Frau Mosbach zu mir gekommen und hatte gesagt, dass Frau Pariani am Telefon sei.
    »Haben Sie ihr nicht gesagt, dass Waldschmidt in der Schule ist?«
    »Ja. Aber sie will mit Ihnen sprechen.«
    »Mit mir? Gut, ich komme.«
    Ich ging die Treppe hinunter, das schwarze Telefon stand auf der Anrichte im Eingangsflur.
    »Sibylle? Du willst mich sprechen?«
    »Hallo, Paula. Ich wollte dich einladen, mich zu besuchen. Wir wohnen ja nicht weit voneinander. Mit dem Fahrrad bist du in zehn Minuten bei mir.«
    »Wann soll ich denn kommen? An welchem Tag?«
    »Wenn du Lust hast, sofort. Ich habe gerade einen Pflaumenkuchen gebacken, weißt du, die kleinen gelben, die sind schon reif. Und Pariani kommt erst um Mitternacht nach Hause. Dann wird er nichts mehr davon essen wollen, aber ein Pflaumenkuchen schmeckt frisch am besten.«
    »Jetzt gleich?«
    »Ja. Du musst doch auch einmal eine Pause machen. Schwing dich aufs Rad und schau vorbei.«
    »Gut. Ich komme. Ich beeile mich.«
    Ich hatte keine Ahnung, warum Sibylle Pariani mich einlud. Sie war zehn, fünfzehn Jahre jünger als ihr Mann, alles an ihr war fließend und sanft. Sie hatte ein zartes Gesicht, und über ihre Lippen kam nie eine Obszönität. Wenn sie lief, sah ich ihr nach, es gefiel mir, wie sie ging, ich spürte ein wohltuendes Rauschen. Ich starrte auf ihre Beine, ich konnte die Blicke kaum von ihr lösen, sie lief nicht einfach, sie schritt dahin, ein bewusster fester Schritt, eine ruhige, gebändigte Leidenschaft, eine erotische Spannung ging von ihr aus. Wenn sie mit ihrem Mann zusammensaß, wenn sie Marco Pariani ansah, ihn anstrahlte, und er auf jede ihrer Gesten achtete und auf das Glitzern ihrer Augen reagierte, erschienen sie mir wie ein Urbild der Liebe. Ich hatte beide sehr gern, Pariani und seine schöne Frau.
    Ich hatte bemerkt, dass auch umgekehrt Sibylle Pariani mich ab und zu beobachtete und freundlich zu mir war. Wir waren uns sympathisch, und machmal sagte sie etwas zu mir, das mir das Gefühl gab, wir seien schon jahrelang befreundet. Aber ganz genauso verhielt sie sich auch den anderen gegenüber, den Frauen und Männern, sie war zu allen liebevoll, als habe sie davon mehr als genug zu verschenken. Mir gefiel es, weil ich nichts zu verschenken hatte, jedenfalls keine Liebe und keine Gefühle, davonkönnen die Narben an meinen beiden Handgelenken erzählen. Mich verwirrte diese Sibylle Pariani. Wann immer sie bei einem unserer Abende erschien, strahlte sie diese scheinbar von keiner Erfahrung zu zerstörende Freundlichkeit aus. Eine Frau, die zu berühren man sich scheute und nach deren Berührung man sich sehnte.
    Sibylle entsprach keineswegs dem gängigen Schönheitsideal, dazu hatte sie zu viel

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