Frau Paula Trousseau
Hintern und Busen, und ihre Taille war ihrem Alter gemäß nicht eben schmal, aber alles fügte sich bei ihr zur Vollkommenheit. Für mich war sie die Vision einer Frau, so unwirklich milde wie ein Madonnenbild.
Wenn sie den Kopf hob, die Lippen leicht geöffnet und ihre dunklen Augen lächelten, war da nichts anderes zu bemerken als freundliche Zuneigung, aber dahinter lag das Versprechen von Leidenschaft. Wenn ich sie ansah, überkam mich zum ersten Mal in meinem Leben das Verlangen, einem Paar beim Liebesspiel zuzusehen, ich würde zu gern in einem Sessel sitzend Sibylle und ihren Mann beobachten, wenn sie sich lieben. Das Verlangen überraschte mich selbst, ich hatte nicht geahnt, dass ich voyeuristische Neigungen besaß, sie waren mir bisher fremd und unangenehm, auch abartig und ekelhaft. Doch wenn ich an Sibylle dachte, erschien es mir völlig natürlich und hatte nicht den geringsten Beigeschmack. Wenn ich sie sah, schien alles einfach und möglich, als wenn ihr Erscheinen, ihr Lächeln alles sanft machen würde.
Als ich an ihrer Tür klingelte, schlug mir das Herz im Hals.
»Schön, dass du da bist«, sagte Sibylle, legte einen Arm um meine Schultern und führte mich in das Wohnzimmer. Ich war befangen, weil ich den Grund für ihre überraschende Einladung nicht kannte. Sie hatte den Tisch gedeckt, hinter dem aufgeschnittenen Blechkuchen standeine hohe schmale Vase mit einer einzigen dunkelroten Rose. Ich lobte aus Verlegenheit ihr Porzellan, sie lachte und erzählte, es habe in ihrem Leben eine Zeit gegeben, in der sie nach gutem Geschirr und Gläsern geradezu süchtig gewesen und quer durch das Land gefahren sei, um diese bei Haushaltsauflösungen zu kaufen oder zu ersteigern.
»Aber das ist vorbei«, sagte sie, »das ist mir nicht mehr so wichtig, das ist nur ein schönes Extra, mehr nicht.«
Sie fragte nach meiner Arbeit, ich erzählte ihr von meinem weißen Bild, über das ich bisher mit keinem gesprochen hatte.
Sie saß in ihrem Sessel und sagte dann: »Eine schöne Idee, und sicher sehr schwierig. Aber du liebst Schwierigkeiten, Paula, nicht wahr?«
Sie fragte nach meinem Verhältnis mit Waldschmidt, ich erzählte. Sie wollte alles von mir wissen, und ich sprach über Vater und Kindheit, über meine Träume und meine Erfahrungen mit den Männern. Und ich erzählte ihr von Cordula. Ich erzählte, wie oft ich von meinem kleinen Mädchen träume, erleichtert, dass sie bei ihrem Vater aufwächst und nicht bei mir, die ich ihr keine Mutter sein konnte, und dass ich ebendeswegen todunglücklich sei.
»Ach, Paula«, sagte sie nur. Nichts weiter, und dafür war ich ihr unendlich dankbar.
Sie lächelte mir zu und streichelte meine Wange, und ich begann loszuheulen. Dann aß ich noch ein Stück Kuchen, es war das dritte, worüber wir beide lachten, und nach dem Kaffeetrinken zeigte sie mir das Haus und den Garten, den sie ganz allein in Ordnung hielt. Als wir wieder im Wohnzimmer saßen, erzählte sie von ihrer Kindheit, sie war ohne Vater aufgewachsen und hatte drei Jahre in einem Kinderheim leben müssen, von ihrer ersten Liebe, ihrem ersten Beischlaf und ihrer ersten Ehe, sie hatte zwei Jahre nach dem Abitur einen Kommilitonen geheiratet, dieEhe hatte drei Jahre gehalten. Dann hatte sie Marco Pariani kennengelernt und sich Hals über Kopf in ihn verliebt.
»Ich war wie wahnsinnig«, sagte sie. »Er hatte mich auf einer Ausstellung angesprochen und zu einem Kaffee eingeladen. Ich hatte natürlich abgelehnt. In meiner Ehe kriselte es, aber ich war ein solches Häschen, andere Männer kamen für mich überhaupt nicht in Frage. Doch seit diesem Tag konnte ich nur noch an Pariani denken. Wenn ich mit meinem damaligen Mann zusammen war, wenn ich mit ihm sprach, wenn er mich küsste, wenn wir miteinander schliefen, ich hatte immerzu Pariani vor Augen. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und rief ihn an. Ich war schrecklich aufgeregt, und es wurde noch schlimmer, als ich merkte, dass er gar nicht wusste, wer ich bin. An die Ausstellungseröffnung konnte er sich kaum noch erinnern. Da habe ich aufgelegt. Aber nur einen Tag später habe ich noch einmal angerufen, wir haben uns in einem Café getroffen, und ich habe sofort die Scheidung eingereicht, sofort. Ein halbes Jahr später war ich mit Pariani verheiratet. Ich war wahnsinnig in diesen Kerl verliebt. Und das bin ich noch immer. Wir sind jetzt fast zwanzig Jahre verheiratet, und ich liebe diesen Menschen wie an jenem allerersten Tag. Glaubs oder
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