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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Mittagessen das Haus auch nur für fünf Minuten zu verlassen. Wieder setzte sich Wanja neben Cornelia und Sascha neben Paula, und wieder versuchten sie, mit ihren nikotingelben Fingern in die Unterhosen der Mädchen zu greifen, während sie mit dem Vater der Mädchen Wodka tranken, der ihnen die politische Weltlage erläuterte, erfreut, dass zwei wissbegierige Angehörige der sowjetischen Streitkräfte seinen Darlegungen und Kommentaren lauschten.
    Irgendwann sprang Cornelia vom Stuhl auf und behauptete, die Russen hätten gesagt, sie würden lieber spazieren gehen, als immerzu im Zimmer zu sitzen. Ihr Vater fand das eine vorzügliche Idee und nötigte die Russen, mit ihm und seinen Töchtern durch die Stadt und den Park zu laufen. Jeder der Soldaten griff nach der Hand eines Mädchens, Wanja nach Cornelias Hand und Sascha nach der von Paula. Die Mädchen sträubten sich, aber der Vater ermahnte sie, sie sollten sich nicht anstellen. Beim Spaziergang rieben die beiden Russen mit dem Handrücken immer wieder über die Oberschenkel der Mädchen, aber zumindest konnten sie ihnen vor aller Augen nicht unter den Rock greifen.
    Als die Mädchen allein in ihrem Zimmer waren, untersuchte Paula ihre Oberschenkel.
    »Ich blute«, sagte sie verzweifelt.
    Cornelia war entsetzt. »Hast du ihn etwa den Finger reinstecken lassen? Dann bist du keine Jungfrau mehr. Du musst zum Arzt gehen. Sofort.«
    »Nein«, sagte sie, »natürlich nicht. Er hat mir mit dem Fingernagel den Oberschenkel aufgerissen. Hier.«
    Auf der Innenseite ihres rechten Oberschenkels, umrahmt von blauen Flecken, zeigte sich ein Riss, zwei Zentimeter lang, aus dem tatsächlich Blutstropfen quollen.
    »Wollen wir es Vater sagen?«
    »Nein. Bloß nicht. Ich weiß schon, was er dann zu uns sagt. Erzähl bloß Vater nichts davon, Paula, dann setzt es für uns beide noch eine Tracht Prügel.«
    »Aber die kommen wieder. Ich fürchte mich schon, zur Schule zu gehen. Ich habe Angst, sie lauern mir auf dem Weg dorthin auf.«
    »Davor habe ich auch Angst. Das wäre schlimmer, als wenn sie zu uns nach Hause kommen. Du darfst nie allein gehen, Paula.«
    »Aber ich habe keine Freundin, die so weit mit mir läuft. Kathi begleitet mich nur bis zum Luisenstein.«
    »Dann wartest du eben auf mich.«
    »Darf ich?«
    »Ja, habe ich doch gesagt. Vielleicht haben wir Glück, und die Russen müssen irgendwohin in einen Krieg. Dann hätten wir sie endlich vom Hals.«
    »Darf ich in der Schule auf dich warten?«
    Cornelia sah ihre Schwester an und überlegte. Schließlich sagte sie: »Von mir aus. Aber misch dich nicht ein, wenn ich mit meiner Freundin rede. Du darfst uns nicht zuhören.«
    »Ja, natürlich.«
    »Das musst du schwören.«
    »Ich schwöre es, Nele.«
    »Und erzähl bloß keinem Menschen, was die beiden Russen mit uns machen. Sonst sind wir an der ganzen Schule unten durch. Erzähle gar nichts. Auch nicht, dass sie uns besuchen.«
    »Aber sie haben uns doch heute mit ihnen gesehen. Das hat die ganze Stadt gesehen. Das war doch dein Einfall.«
    »Was sollte ich denn sonst machen?«, fragte Cornelia entrüstet, »wolltest du dich denn immerzu in die Muschi kneifen lassen?«
    »Natürlich nicht. Aber alle haben gesehen, wie wir mit ihnen durch die Stadt gelaufen sind.«
    »Wir sagen einfach, dass das Freunde von Vater sind. Oder von Clemens.«
    »Sie haben gesehen, dass wir Hand in Hand mit ihnen gegangen sind.«
    »Du sagst einfach: na und! Wir tun einfach so, als sei das normal.«
    »Warum machen die das? Macht es denen Spaß, uns zu quälen?«
    »Nein. Die denken, uns gefällt das. Für die ist das Liebe.«
    »Wirklich?«
    »Es gibt Mädchen, denen so etwas gefällt.«
    Paula saß noch immer auf dem Bett und betrachtete die blauen Flecke und die Schramme.
    »Das ist Liebe?«, fragte sie ihre Schwester nach einigen Minuten.
    Cornelia knurrte abweisend.
    Den Spaziergang mit den beiden russischen Soldaten hatte anscheinend die ganze Stadt beobachtet, jedenfalls wurden die Mädchen mehrmals darauf angesprochen. Ein Junge rief auf dem Schulhof ganz laut »Russennutte«. Cornelia erstarrte und wagte nicht, sich nach dem Jungen umzudrehen. Sie wusste, wer damit gemeint war, jeder auf dem Schulhof wusste es.
    Vierzehn Tage später kamen die beiden Russen wieder zu ihnen. Sie bekamen Kuchen und Kaffee und tranken dann zwei Schnäpse mit dem Vater. Die Mädchen hatten sich Hosen angezogen, und als einer der Soldaten mit der Hand nach Cornelias Oberschenkeln fasste, schrie sie

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