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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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jeder das Seine machen solle. Waldschmidt war der erste Mann, bei dem ich mich frei fühlte, der für mich ein Partner war, so dass ich manchmal glaubte, ich würde ihn lieben können.
    Unversehens war ich in einen Kreis von Menschen geraten, von denen immerzu etwas in der Zeitung zu lesen war und die auch nicht enttäuschten, wenn man sie kennenlernte. Einige der Männer lebten mittlerweile mit ihrer zweiten oder dritten Ehefrau zusammen, aber auch diese Frauen waren mindestens zehn Jahre älter als ich. Waldschmidt war der Einzige mit einer Studentin, er genoss es, seine Freunde beneideten ihn, und ich registrierte aufmerksam jede ihrer Gesten, Bemerkungen und Blicke, die sich um meinen Körper schlängelten, sich auf meine nackten Schultern setzten und an meinem Dekolleté festsaugten. In ihrer Gesellschaft begriff ich, dass ich jung war und dies nicht gleichzeitig und vor allem bedeutete,ich sei noch immer unfertig. Dort war ich nicht nur eine Studentin, die immerzu etwas lernen musste. Hier war ich plötzlich ein kompletter, ein vollständiger Mensch.
    Auch die Frauen respektierten mich. Vor ihnen hatte ich zunächst Bammel, sie waren älter und richtig verheiratet. Ich war die Neue, der Eindringling, doch sie nahmen mich vorbehaltlos auf, küssten und duzten mich bereits bei der ersten Begegnung, als gehörte ich schon immer in ihren Kreis. Mit den Frauen unterhielt ich mich bei diesen Gesellschaften viel, denn die Abende verliefen stets nach dem gleichem Ritual: wenn alle eingetroffen waren, wurde im Esszimmer serviert und nach zwei, drei Stunden zogen sich die Männer in ein anderes Zimmer zurück, um zu rauchen und Schnäpse zu trinken.
    Sobald die Männer hinausgegangen waren, wurde es in dem Zimmer laut. Es wurde Kaffee serviert, doch die meisten zogen gleichfalls einen Cognac oder Likör vor. Und es wurde geredet. Wir sprachen über Gott und die Welt, über unsere Männer und ihre Launen und Absonderlichkeiten, wir schütteten uns dabei aus vor Lachen. Die Stimmen schwirrten durch den Raum, ein leises Glucksen begann zögernd, sprang von einer zu anderen und mündete in einem alles und alle erfassenden Gelächter. Manchmal schoss eine Stimme schrill heraus, überschlug sich kreischend und verschwand ebenso plötzlich, aufgesogen vom Stimmengewirr. Gelegentlich meldete sich ein ernsthafterer Ton, leise Melancholie oder eine böse Bemerkung, dann wechselten die Frauen Blicke, die Stimmen streichelten und trösteten. Frauen ohne Argwohn gegeneinander, ohne sie trennende Interessen. Das Bedürfnis, die Hand auf den Arm der anderen zu legen, auf ihre Schulter, an ihre Wange. Freundinnen. Ich wurde süchtig nach dieser Runde, dem Tratsch, dem Frauenlachen. Sie waren schön, weiche, großbrüstige Frauen, nach denen ein Mann sichverzehren musste. Sie schienen keine Aggressionen zu kennen, was ich zunächst kaum glauben konnte, aber ich habe nie eine von ihnen grimmig oder herausfordernd erlebt, sie lenkten offensichtlich ihre Männer durch Freundlichkeit, sie erreichten mit Zustimmung und einem Lachen das, was sie wollten, und sei es nur, den widerstrebenden Ehegatten zum Aufbruch zu bewegen.
    Wenn wir zu laut wurden oder eine von uns aufkreischte, erschien manchmal einer der Herren und fragte amüsiert nach dem Grund. Er wurde mit einer freundlichen Bemerkung, einer liebevollen Geste hinausgeschickt. Wenn die Männer aus dem Raucherzimmer zurückkamen, wurde für alle Kaffee und Kuchen serviert, und für eine Stunde saßen alle zusammen, die Gespräche wurden anzüglicher, blieben aber witzig und charmant. Die Frauen waren nun zurückhaltend, und nur gelegentlich erinnerte eine Bemerkung, ein Augenaufschlag an die Reden davor. Die Männer wirkten gelassen, auf ihren Gesichtern lag diese männliche Zufriedenheit, als hätten sie gute Geschäfte gemacht. Die Abschiedszeremonie konnte lange dauern, manchmal standen wir alle gemeinsam eine halbe Stunde vor dem Haus, die Worte und das Lachen glitzerten in der schwach beleuchteten Straße, und immer wieder streichelten und küssten wir uns und sagten uns Lebewohl, bevor wir uns schließlich trennten.
2.
    Die beiden Russen standen tatsächlich drei Wochen später am Sonntagnachmittag vor der Tür. Sie brachten diesmal für Frau Plasterer Rosen mit, die bereits welk waren. Cornelia und Paula hatten tausend Ausreden angeführt, um an diesem Nachmittag nicht daheim sein zu müssen,aber der Vater war schließlich laut geworden und hatte ihnen verboten, nach dem

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