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Frau Schick macht blau

Frau Schick macht blau

Titel: Frau Schick macht blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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ihm wird noch einmal die Tür aufgerissen und das Flurlicht angeknipst. »Wenn Sie meine Mutter unbedingt sehen wollen, kommen Sie morgen in die ›Bond Bar‹. ›Bond‹ wie ›James Bond‹. In Köln. Kennen Sie Köln? COLONIA.«
    Natürlich kennt er Köln, da wohnt er schließlich. Und warum buchstabiert sie es extra noch mal auf Latein und mit spanischem Akzent?
    »So gegen halb zehn«, ruft es von oben. »Das würde uns alle sehr freuen!«
    Herberger reckt verdutzt den Hals. Eine geradezu begeistert freundliche Becky lugt zu ihm hinunter und flötet: »Hasta la vista!«
    Schon ist das Gesicht verschwunden. Na egal, Nellys Tochter kann also auch lächeln. Und wie. Kopfschüttelnd nimmt Herberger die letzten Stufen.
    Erst als die Haustür mit deutlichem Klacken hinter ihm ins Schloss fällt, zieht Becky den Kopf zurück. Gerade noch mal gutgegangen! Den wäre sie los, und ihre Mutter ist ihn spätestens ab morgen ebenfalls quitt. Ob sie will oder nicht.
    Eigentlich hat sie sich diesen Javier anders vorgestellt, und dass der Kerl so erstaunlich gut Deutsch kann, wundert sie auch. Selbst das H kommt fehlerfrei aus seinem Mund. Wird wohl nur eine halber Spanier sein, dafür ein Lügner durch und durch. Ihre Mutter hat ihn in einem Internetforum für Dolmetscher und Übersetzer kennengelernt. Dort fischt dieser miese Betrüger und vorgebliche Finca-Erbe seine Opfer mit Gedichten, die er von Pablo Neruda abschreibt. Auf so was steht ihre Mutter leider. Wie war das noch?
    Hungrig bin ich, will deinen Mund, deine Stimme, dein Haar, und durch die Straßen zieh ich ohne Brot, ohne Nahrung …
    Becky grinst abfällig. Soll der mal schön weiter einsam durch die Straßen ziehen ohne Brot. Vor allem ohne das ihrer Mutter. Die hat für den Spanientrip zu diesem Latin Loser vor einem Monat ihre letzten Flocken lockergemacht. Das passiert ihr nicht noch mal, darauf wird Becky achtgeben. Erst recht, weil Nelly morgen einen Auftrag einheimsen wird, der mehr als trocken Brot einbringt. Viel mehr. Die Zeiten der finanziellen Verzweiflung werden endgültig vorbei sein und die Gerechtigkeit wiederhergestellt.
    Ups! Sie muss dringend noch das Festnetztelefon ausstöpseln. Dieser halbspanische Stalker ruft garantiert auch mitten in der Nacht an, um ihrer Mutter Neruda-Kitsch ins Ohr zu schleimen. Nur gut, dass sie Mamas Handy konfisziert hat.

7.
    Frau Schick durchwühlt auf der Suche nach einem Feuerzeug noch immer die Taschen des Kimonos und betrachtet sich flüchtig im goldgerahmten Garderobenspiegel. Bäh! Sie sieht in dem Kimono aus wie ein Kuhstall mit Gardine. Und weiß der Kuckuck, was die eingestickten Schriftzeichen wirklich bedeuten. Vielleicht »Gute Nacht« oder »Träum süß« auf Japanisch? Egal, das können Gespenster nicht wissen. Jedenfalls nicht die dusselige Freda. Die konnte ja nicht einmal Englisch, von Japanisch ganz zu schweigen.
    Mister! Du want prima Knolli-Brandy?
    Frau Schick hält im Klopfen inne, reißt den Kopf herum und starrt in Richtung Kellertür, die sich im Schatten unter der Treppe verbirgt. Ach was, der selten blöde Satz kommt nicht aus dem Keller, sondern sitzt in ihrem Kopf und drängelt sich durch die leeren Korridore ihres Kurzzeitgedächtnisses nach vorne.
    Du want prima Knolli-Brandy? – So hat Freda anno 1945/46 erst den Amis und später den Tommys auf dem Kölner Schwarzmarkt ihren heimlich gebrannten Rübenschnaps angepriesen. Von wegen ihren! Den Schnaps hat sie – Röschen – bei Bauern aus dem Umland organisiert und musste ihn in Einmachgläsern in einem umgebauten Kinderwagen durch Felder und Wälder nach Köln hineinschmuggeln. Trotz strikter Ausgangssperre. Mitten durch die Sperrzone, vorbei an zerschossenen Kübelwagen, ausgebombten Flakstellungen und verkohlten Bäumen einer verwaisten Schrebergartenanlage hat sie sich damals an Militärposten vorbeigestohlen.
    Die Bäume durchwuchern seit einigen Nächten mit schwarzverbrannten Ästen ihre Träume. Träume, in denen sie nicht mehr aus dem Wald und dem Krieg hinausfindet.
    Verdammt, wo ist denn nur das Feuerzeug! Der Kimono hat doch Paulchen gehört, und der hatte als gewissenhafter Kettenraucher immer ein Feuerzeug dabei.
    Sie tastet weiter. Wie ein Kanonenschlag entlädt sich in der Nähe ein Donner. Frau Schick zuckt zusammen und fröstelt. Ein Eiswind weht sie an, der kommt von innen, nicht von draußen, und reißt sie mit sich fort, zurück in klirrkalte Nächte. Da hilft nichts, da muss sie durch, weiß Frau Schick.

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