Frau Schick macht blau
wegstecken.
Mit den Worten »Wir kommen wieder« stapfen und trippeln ihre Besucher die drei Eingangsstufen hinab. Es trippelt ganz gehörig. Hat der Kerl jetzt zwei Hunde? Wie wohl der andere heißt? Lenin? Trotzki? Gorbatschow? Gorbatschow wäre ein sehr schöner Hundename. Etwa für einen nussbraunen Spaniel, die haben auch so herrlich tiefgründige Samtaugen mit Goldsprenkeln und … Herrje, dieser Weihnachtsmann lenkt sie gewaltig vom Wesentlichen ab!
Frau Schick blinzelt zu einem protzgoldenen Bilderrahmen hoch, der über der Vase mit dem Besenstiel hängt. »Sag mal, hast du diesen Knallkopf wirklich gekannt?«
Aus dem Schnörkelrahmen linst in Lebensgröße Paulchen, ihr verstorbener Mann, auf sie herab, guckt verdrossen und schweigt. Was sonst? Verdrossen sieht er aus, weil er nie gern nutz- und tatenlos rumgesessen hat – nicht für einen Kunstmaler und schon gar nicht, wenn sein Röschen, also sie, Kummer hatte. »Wenn dir dem Leben tritt, dann tritt ihm zurück«, hat er immer gesagt und aufmunternd gegrinst.
Das Paulchen in Öl grinst nicht. Es ist überhaupt misslungen. Der Maler hat ihm die Himmelfahrtsnase gestutzt und die markant abstehenden Ohren angelegt, damit der Ehrenkonsul und Parkhauskönig Schick nach erhabenem Firmenpatriarch und nicht nach dem Schlitzohr aus der Schemmergasse aussieht, das er war und das sie – seinen Kuckuckseiern wie Pottkämper zum Trotz – über ein halbes Jahrhundert geliebt hat. »Mal unter Schmerzen, aber immer von Herzen«, würde es im Poesiealbum heißen.
Vorbei. Auf immer vorbei.
Draußen frischt der Wind auf, Böen jagen dem Gewitter voraus, eine besonders vorwitzige prallt auf das Flurfenster, rüttelt am Glas, fährt zurück und rauschend in eine der alten Ulmen, die das Haus bewachen. Ob das Paul war?, wagt sein Röschen zu hoffen. Hat immer gern viel Wind um sich gemacht, und über Menschen, die seinem Röschen Böses wollten, ist er hinweggefegt wie ein Orkan. Aber jetzt muss sie sich selbst helfen, und das kann sie.
Frau Schick zerrt energisch am Besenstiel. »Willst du wohl!«
Pardauz und Klirr. Der Kampf mit dem Besen hat die Vase das Leben gekostet. Pech gehabt, aber sie hat die Vase sowieso nie leiden können.
Entschlossen umklammert Frau Schick mit der Linken den Besenstil. Jetzt aber! Mit der rechten Hand greift sie nach einem Kräutersträußchen, das auf dem Dielentisch bereitliegt. Ihre Haushälterin hat es heute Mittag nach ihren Anweisungen gebunden. Vorschriftsmäßig mit dem weißen Zwirn, den Frau Schick im Kölner Dom klammheimlich ins Weihwasserbecken getunkt hat.
Wenn schon, denn schon. Dabei ist sie von Haus aus Protestantin. Das war die olle Schemutat auch, aber als kurische Fischertochter von der Nehrung war sie außerdem eine Spökenkiekerin vor dem Herrn. Dafür waren die Kuren seit jeher so berüchtigt wie für ihre Krötenstöcke, die sie jahrhundertelang auf die Gräber gesetzt und mit Kreuzen verziert haben, damit die Kirche die heidnischen Kröten schluckte. Wenn es um Spuk und Nachtgesichte ging, hat die Schemutat allerdings auf echtes Weihwasser geschworen.
»Vom Deiwel und seinen Spießgesellen versteh’n die Kathol’schen mehr als wir«, war die alte Amme sich sicher.
Hoffentlich stimmt’s.
»Salbei, Rosmarin, Beifuß, Thymian, Pimpinelle, Löwenzahn und Lavendel«, zählt Frau Schick das duftende Sträußchen durch.
»Wollen Sie etwa kochen?«, hat ihre Haushälterin beim Kräuterbinden gefragt. So entsetzt, als habe Frau Schick sich zu einer spontanen Südpolexpedition entschlossen, und zwar in Hausschuhen. »Ich kann doch heute Abend länger bleiben und Sie und Ihre Gäste bewirten.«
»Ich erwarte keine Gäste«, hat Frau Schick erwidert und still für sich hinzugefügt: »Leider.«
»Ich bleib gern da und mach uns ein paar schöne Schnittchen zurecht«, hat ihre Perle angeboten und skeptisch den Löwenzahn beäugt.
Pah, was die Leute immer so denken! Wenn sie wollte, könnte Frau Schick auch kochen. Will sie aber nicht. Sie hatte ihr Leben lang wichtigere Dinge zu erledigen, wie jetzt.
Ein Besen, die Kräuter … Hoffentlich hat sie nichts vergessen. Doch: ein Feuerzeug.
Sie fischt in den Taschen ihres antiken Kimonos herum. Ein prachtvolles Museumsstück, in dem sie fast ertrinkt. Hat Paulchen gehört. Ihre Haushälterin hat ihn vom Dachboden geholt und den brüchigen, nachtblauen Stoff mit Lavendelwasser aufgebürstet. Anscheinend nicht besonders gründlich. Beim Taschenabklopfen steigt Frau
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