Frau Schick macht blau
Erinnerungen muss man wie den Teufel an die Wand malen, um sie zu bannen.
Knapp zwölf war sie bei ihren einsamen Streifzügen über verschneite Schlachtfelder und durch Kölns Trümmerlandschaft.
»Auf Kinder schießen die Tommys nicht, und Gehen bist du doch gewohnt«, hat Freda entschieden. Das stimmte zwar, und außerdem hatte Röschen auf ihrer Flucht aus Ostpreußen weit Entsetzlicheres gesehen und hinter sich gebracht, aber unheimlich war es wegen der vielen Blindgänger, Patronen und Handgranaten im schneebedeckten Waldboden trotz alledem. Der Tod war stets an ihrer Seite.
Freda hat derweil daheim – in diesem Haus! – die Nylons gezählt, die sie neben Zigaretten, Kohlen, Speck und Graupen beim lukrativen Knolli-Brandy-Tausch für sich ergattert hat, und ihren puppenblauen Frolleinblick verfeinert. Glanzbeseelte Führerverehrung passte ja nicht mehr. Die Villa hat Freda nur behalten dürfen, weil sie kurz nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen rasch Flüchtlingsmütter mit ordentlich viel Kindern aufgenommen hat, die sie – nachdem die Gefahr einer Beschlagnahmung der Villa gebannt war – mühelos wieder hinausgeekelt hat.
Gieriges, verlogenes, grauenhaftes Weibsstück! Hat in der Beletage residiert und Röschen samt Baby und Rübenschnaps im Waschkeller einquartiert. Über Jahre! Und so was nannte sich Tante. Schöne Tante! Völlig aus der Art geschlagen. Schämen muss man sich, dass sie eine von Todden war.
»Du want prima Knolli-Brandy«, äfft Frau Schick sie nach, während sie mit Besenstil und Kräuterstrauß durch die imposante Halle ihrer Gründerzeitvilla tappt. Hach, ein Schlückchen Knolli-Brandy wäre jetzt gar nicht schlecht, denkt sie mit Blick auf die Kellertür und klopft wieder auf den Kimonotaschen herum.
Endlich! Ihre Finger ertasten einen kleinen, harten Gegenstand in einer Seitentasche. Sie nimmt den Strauß in die rechte Hand zum Besenstil und zieht ein goldenes Feuerzeug hervor. Paulchen wird es recht sein. Der konnte die Freda schon gar nicht leiden und hat ihr Mitte der Fünfziger umgehend Hausverbot erteilt, nachdem sie genug Geld verdient hatten, um Tante Freda die Villa unter dem knochigen Hintern wegzukaufen. Den Waschkeller hat sein Röschen danach nie mehr betreten müssen.
Ja, so war Paulchen. Frau Schick seufzt leise. Nicht immer treu, aber seinem Röschen von Herzen ergeben. Er war ja so stolz darauf, eine echte Freifrau geheiratet zu haben. »Röschen, ich kann nur Parkhäuser, aber du verleihst unseren gesammelten Werken Glanz«, hat er mehr als einmal gesagt.
Frau Schick klappt das Feuerzeug auf und drückt an der Zündtaste herum. Klick, klick, klick. Leiser Benzingeruch steigt ihr in die Nase. Beim dritten Mal sprühen Funken, ein blaues Flämmchen zuckt auf und mästet sich gierig am Benzin.
Frau Schick lässt die Zündtaste hochschnappen und probiert es gleich noch einmal. Diesmal schießt eine rußige Stichflamme hoch. Fast hat sie sich die Nase versengt, und es riecht ein bisschen nach verkokelten Haaren. Nicht so schlimm. Hauptsache, es brennt.
»Los geht’s«, kommandiert sie sich mit fester Stimme, die sich in der Eingangshalle so hohl anhört, als sei sie selbst das Gespenst. Am Besenstiel festgeklammert arbeitet Frau Schick sich über die geblümten Jugendstilfliesen voran. Noch drei Reihen Lilienkacheln, dann ein Linksschwenk unter die Treppe und sie ist am Ziel.
Sie drückt einen Lichtschalter herunter. Sofort wird es in der Halle zappenduster. Sogar doppelt zappenduster vor ihren Augen, weil sie mit ihrem grünen Star schon bei Licht schlecht sieht. Ein Blitz wäre jetzt willkommen, aber draußen rauscht nicht einmal mehr die Ulme. Ist das die Ruhe vor dem Sturm, oder ist das Gewitter einfach weitergezogen?
Frau Schick tastet nach der Messingklinke. Bevor sie die schwere Kellertür aufzieht, lehnt sie den Besenstil an die Wand, holt tief Luft und hält sie an. Jetzt muss es schnell gehen. Mit einem Ruck ist die Tür offen. Frau Schick nimmt die Kräuter in die linke, das Feuerzeug in die rechte Hand.
Klick, klick, zisch.
Die Flamme schießt hoch. Mit zitternden Fingern führt Frau Schick das Feuer zum Sträußchen, die Rosmarinnadeln glimmen als Erstes, dann fängt der Beifuß zögernd Feuer. Rauch kräuselt sich in Frau Schicks Nase und beißt sich fest. Sie schnappt nach Luft.
Riecht ein bisschen nach Weihnachten und … igitt! Aus dem Keller schlägt ihr feuchter Waschküchenmuff entgegen. Sie erstarrt. Ach was, ach was, den
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