Frau Schick macht blau
sie Frau Schick unterhaken, die – nicht minder behände und beherzt – Richtung Detlev ausweicht. Er hat zumindest ansatzweise ihre Hoheitsrechte verteidigt.
Leider weicht Detlev ihr nicht aus, sondern vertritt die Tür. »Frau Schick, wenn Sie Informationen über die Vereinssatzung wünschen – und die brauchen Sie dringend, wenn ich mir Ihren Garten so anschaue –, dann müssen Sie mit mir kommen. Frau Pracht hat hier genauso wenig zu bestimmen wie Herr Engels und seine Anhänger. Jetzt hat er sogar einen Esel angeschleppt! Seine Bienen sind Plage genug, aber Esel fallen eindeutig nicht unter erlaubte Kleintierhaltung.«
»Herr …« Frau Schick will weder Ingwertee bei Frau Pracht trinken noch Vereinsinformationen von Feldherr Detlev. Sie will nur ins Freie. Aber wie? Zwischen Walküre und Napoleon eingezwängt, dämmert ihr, dass in ihrer Kolonie nicht nur der Waldfrieden zerbrechlich ist, sondern auch ihre Hoheitsrechte. Das muss sie schleunigst ändern. »Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn sein böser Nachbar es nicht will«, wusste schon Schillers Tell. Aber der hatte eine Armbrust, um etwas dagegen zu unternehmen, und sie nur eine Reitgerte. Hätte sie mal besser eine Peitsche besorgt.
Nein, die würde ihr jetzt auch nichts nützen. Aber List und Tücke und ihr hohes Alter. Mit fast 78 Jahren ist ein kleiner Schwindelanfall eine hilfreiche Waffe. Und glaubwürdige Schwindelanfälle bekommt sie jederzeit hin.
18.
Herberger ist auf freiem Fuß. Das hat er Niklas und dem Eintreffen von mehreren stark betrunkenen Teilnehmern eines Kürbisfestes im Umland von Hürth zu verdanken. Nun dürfen sich die angeheiterten Kürbisköpfe am Vanilleduftbäumchen in der Arrestzelle erfreuen.
Sein Verhörexperte hat ihm zum Abschied sogar den Führerschein wieder ausgehändigt und die Jaguarschlüssel angeboten: »Damit Sie schneller zu Ihrem Sohn kommen.« Ein Verkehrsunterrichtsset für Schulanfänger samt Plastikkelle hat er ihm auch aufgedrängt. »Wo Niklas doch Geburtstag hat! Bestellen Sie Ihrem Jungen recht liebe Grüße. Der ist ein prachtvolles Kerlchen.«
Herberger hat den Führerschein und die Jaguarschlüssel entgegengenommen, den Wagen aber auf dem Polizeiparkplatz stehen gelassen. Niklas soll seinen Nicht-Geburtstag schön alleine weiterfeiern. Herbergers Bedarf an fremder Leuts Irrwitz ist ein für alle Mal gedeckt. So viel jedenfalls weiß er.
Was nun?, fragt er sich mit dem Rücken zur Polizeidienststelle und Blick auf eine sonntagsstille Gewerbeparkstraße.
Die Antwort ist einfach: Nichts wie weg, und zwar weit weg.
Er schultert seinen Rucksack und macht sich auf den Weg. Gehen ist gut, besser als Taxi fahren und erheblich besser, als den Jaguar von Frau Schick zu chauffieren. Gehen ist die beste Fortbewegungsmethode überhaupt, um Gedanken zu klären und sich frei zu fühlen. Ja, nickt sich Herberger ermutigend zu. »Trau keinem Gedanken, der im Sitzen kommt«, empfahl schon Nietzsche.
Vor allem keinem, der mit Frau Schick zu tun hat, ergänzt Herberger im Stillen, oder mit Niklas. Und erst recht keinem, in dem der Name Nelly auftaucht. Nelly ist das reinste Nervengift. Nelly gehört ins hinterste Schließfach seines Gehirns. Er wird es erst öffnen, wenn es an der Zeit ist. Nicht jetzt.
Jetzt ist es an der Zeit zu gehen und dabei an nichts zu denken. Das braucht er, das kennt er. Sanzaru fällt ihm ein, die heiligen drei Affen, die Augen, Mund und Ohren verschließen, Japans Sinnbild für die buddhistische Tugend, über Schlechtes und Schmerz weise hinwegzusehen, um inneren Frieden zu erlangen. Den einzigen Frieden, dessen Dauer und Haltbarkeit man allein bestimmen kann. Zu jeder Zeit, an jedem Ort.
»The only way out, lies within« , hat ihn ein Zen-Meister in Kyoto schon vor Jahren gelehrt. Nicht mehr leiden und nicht mehr hoffen, nicht mehr hadern und nicht mehr urteilen. Weder über sich noch über andere, das ist der einzige Ausweg aus dem eigenen Gedankengefängnis. Zumindest eine Ahnung dieses Friedens hat Herberger in Asien vor Jahren einmal gefunden – nach Penelope, nach seinen australischen Minenabenteuern und nach gefühlten hundert Jahren Einsamkeit, in denen er zu viel getrunken hat, um zu vergessen.
Herberger quert die Straße und passiert ausgestorbene Bürokomplexe. In toten Fenstern wird für die provisionsfreie Anmietung von »Gewerbeflächen in Bestlage« geworben. Er schüttelt den Kopf. »Bestlage« ist die reinste Übertreibung. Hier müssen Makler
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