Frau Schick macht blau
du mit meinem Olivenbäumchen?«, fragt Nelly entsetzt und will Becky den Topf entreißen. »Davon, dass du ihn gegen die Scheibe schleuderst, wird er nicht schöner! Außerdem versperrst du mir den Blick auf die Haltestellenschilder.«
Becky klammert sich an das Bäumchen, presst dessen karg belaubte Äste ans Straßenbahnfenster und dreht ihrer Mutter mit schreckgeweiteten Augen den Kopf zu.
Richtig panisch sieht sie aus, findet Nelly. So, als habe sie ein Gespenst gesehen.
»Äh … ich will nur, dass das Bäumchen ordentlich Sonne bekommt«, stammelt Becky, »wegen der Photosynthese und so. Vielleicht bekrabbelt er sich dann wieder.«
Nelly verzieht verärgert den Mund. Die Bahn nimmt nach einer Vollbremsung, die sie fast vom Sitz geschleudert hat, wieder an Fahrt auf. »Zu Hause warst du weniger besorgt. Es einfach in deinen Kleiderschrank zu sperren.« Sie schüttelt den Kopf und entwindet Becky das Bäumchen, streichelt ein paar zerdrückte Blättchen glatt. »Wirklich, Becky, ich hoffe, in Frau Schicks Garten lernst du endlich einmal ein paar vernünftige Dinge und praktischen Verstand. Das Bäumchen bedeutet mir viel.«
»Ja, Mama«, sagt eine bleiche Becky. Sie linst flüchtig aus dem Fenster und senkt brav wie ein Kommunionkind den Blick.
Wenigstens sieht es endlich so aus, als habe Becky einen Anflug von schlechtem Gewissen, denkt Nelly. Nach allem, was sich ihre Tochter gestern und in den Wochen zuvor geleistet hat, ist Zerknirschung angebracht und ein Anzeichen dafür, dass Becky nicht ganz auf ihren Vater kommt.
Jörg, dieser Ausbund an rücksichtsloser Selbstbegeisterung, hat sie daheim unnachgiebig mit Anrufen bombardiert. Zuletzt hat er sogar seinen Besuch angekündigt, mit dem Hinweis auf das millionenschwere Werbebudget, das »eine Marktpenetration mit TrueLove « erlaube und ihren Ausstieg aus der Kampagne verbiete.
Die Marktpenetration war mehr als zu viel für Nelly. Sie hatte den Werbepalaver endgültig satt und hat sich darum spontan zur Flucht und zu einem Besuch bei Frau Schick entschlossen.
Ricarda hat zwar gemosert und ihr vorgerechnet, wie viel Geld sie nun nicht bekommt, weil sie Jörgs Angebot und die Marktpenetration ausschlägt, hat Nelly und Becky aber dennoch nach Köln chauffiert. In Köln hat sich Ricarda dann jedoch energisch geweigert, die Kolonie Waldfrieden anzusteuern, weil Nelly dummerweise Frau Schicks Jobangebot erwähnt hat.
»Du willst von Beruf Schrebergärtnerin werden?« Ricarda hat vor Entsetzen beinahe die Kontrolle über ihr Auto verloren. »Nelly, jetzt spinnst du komplett!«
»Ich spinne keineswegs«, hat Nelly beharrt. »Frau Schick will mir eine Stelle als persönliche Referentin geben, die mit leichten gärtnerischen Tätigkeiten und Sanierungsarbeiten an ihrer Laube verbunden ist.«
»Wie interessant«, hat Ricarda geätzt. »Bislang habe ich geglaubt, dass nur frustrierte Hausmeister auf der Berufsbezeichnung Facility Manager bestehen und manche Müllmänner die Bezeichnung ›Experten für Abfallwirtschaft‹ schätzen, aber ›Schrebergartensekretärin‹ toppt alles. Könntest du mir dein komplexes Berufsbild – abgesehen von Unkraut jäten, Kompost verteilen und Hütte streichen – vielleicht näher erläutern?«
»Nun … äh … ich muss auch Diktate aufnehmen«, hat Nelly hoheitsvoll, aber nicht minder schwammig als Frau Schick erläutert.
»Ach ja, über was denn? ›Tägliches Gießen und monatliches Düngen nicht vergessen‹?«
Nein, über Striegelbürsten und Entwurmungssalben für Esel, hat Nelly mit mulmigem Gefühl gedacht, aber selbstverständlich nicht gesagt.
»Das dürfte wohl kaum eine tagfüllende Beschäftigung sein«, hat Ricarda weiter rumgestänkert.
»Du brauchst dich gar nicht lustig zu machen«, hat Nelly empört geantwortet. »Frau Schick braucht eine Schreibkraft, weil sie zu kleinen Vergesslichkeiten neigt. Außerdem will sie mir ihre Memoiren diktieren.«
Ricarda hat außer sich vor Zorn einen Bordstein angesteuert. »Du willst die Memoiren einer Schrebergärtnerin verfassen?«
»Frau Schick ist die Witwe eines berühmten Kölner Bauunternehmers, wie du sehr wohl weißt!«
»Nelly, werde vernünftig!« Ricarda hat verbal hyperventiliert und eine Vollbremsung hingelegt. »Mit Jörgs Memoiren, die du nicht mal schreiben musst, bist du doch bestens bedient. Bad boys need true love wird sicher ein Bestseller, egal, was drinsteht.«
»Ein Bestseller, an dem er dich mit zehn Prozent vom Verkaufserlös
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