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Frau Schick macht blau

Frau Schick macht blau

Titel: Frau Schick macht blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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und schaut auf. Vor ihr lichtet sich das Dickicht. Sie schiebt das Geäst beiseite und erspäht eine schwarzgrün schillernde Wasserfläche, die sich ins Endlose auszudehnen scheint. Ein vom Sturm gefällter Baum ragt wie ein melancholisches Krokodil aus dem Waldsumpf. Vor ihren Füßen steigen Sumpfgasblasen auf und zerplatzen geräuschlos an der Oberfläche. Mist! Da kommen sie im Leben nicht trockenen Fußes durch. Becky prallt in ihren Rücken, und Nelly macht sich auf ein Schimpfkonzert gefasst.
    »Na endlich«, seufzt Becky erleichtert.
    Nelly dreht verwundert den Kopf. Ihre Tochter macht mit der Hand Wedelbewegungen nach links. »Da hinten sitzt einer, den können wir nach dem Weg fragen!«
    Nellys Augen tasten sich am Tümpelrand lang und finden in etwa zwanzig Metern Entfernung einen Ufersaum, an dem jemand hockt. Mit gebeugtem Rücken und in die Betrachtung gelb blühender Stauden versunken. Er hat einen Klapptisch in die Wildnis geschleppt, eine Thermoskanne, einen Kaffeebecher und – Nelly stutzt – einen niegelnagelneuen Laptop.
    »Wow, ein Apple Macbook Air«, erkennt Becky aus der Entfernung und drängelt sich an Nelly vorbei.
    »Hallo, hey!«, ruft sie so laut, dass es hohl von den Bäumen widerhallt. Der Rücken streckt sich. Ein junger Mann um die zwanzig reißt verärgert den Kopf nach oben, dreht sich flüchtig herum. Passend zu einer streitlustigen Düstermiene trägt er Combathosen, ein Muscle-Shirt und raspelkurz rasiertes, rabenschwarzes Haar.
    Wegen seiner heftig tätowierten Arme teilen Nellys Augen ihn spontan jener Kategorie junger Mann zu, von der sie ihre sechzehnjährige Tochter fernhalten möchte. Sie ist ja nicht spießig, aber Becky soll es bitte, bitte sein oder werden – zumindest bis sie 25 oder 30 ist und sich ihre Begeisterung für tätowierte Freaks, die aus undurchsichtigen Gründen im Wald kampieren, gelegt hat.
    Becky bringen derlei Bedenken nicht vom Kurs ab. Im Gegenteil. »Der kann bestimmt nach draußen telefonieren«, sagt sie und eilt Wasserlachen überspringend auf den Walderemiten zu. Nelly eilt schleunig hinterher.
    »Hallo«, wiederholt Becky, als sie beim tätowierten Tümpelbesucher anlangen. Sie wirft einen Blick auf den Laptop und – als sie einen Internetstick in einer Laptopbuchse entdeckt – mit kokettem Schwung ihr Haar erst nach rechts und dann nach links, als posiere sie für eine Shampoowerbung.
    Auch das noch, stöhnt Nelly innerlich auf.
    »Cool hier!«, kiekst und zwitschert Becky dem Tätowierten zu. »Bis auf die Schmeißfliegen.« Sie wedelt einen Insektenschwarm fort, der aus den Sumpfblumen abhebt und vor ihrer Nase herumschwirrt.
    Der junge Mann blickt kurz auf, schüttelt angewidert den Kopf und wendet sich wieder seinen Sumpfstauden zu.
    Diese Reaktion ist reichlich unverschämt, findet Nelly. Hübscher und interessanter als das gelbe Gestrüpp und die Schmeißfliegen ist ihre Becky nun wirklich. Und hübscher als dieser Kerl ebenfalls. Schrecklich, diese mit Stahlstacheln gepiercten Brauen! Selbst wenn sie in einem Gesicht sitzen, das an Teenieschwarm Robert Pattinson erinnert, zwar nur entfernt, aber deutlich genug, um Becky magisch anzuziehen.
    »Wahnsinn, die Stille«, bemüht sich ihre Tochter ein wenig lauter um Kontaktaufnahme. Sie schüttelt Nellys Hand ab und schlägt einen Brummer von ihrer Nase.
    »Verdammt, kannst du dich nicht LEISER freuen«, schimpft der Sumpfblumenfan und wirbelt zu ihnen herum.
    Nelly kann den Blick nicht von den gepiercten Brauen lassen. Über einer prangt ein Schmutzfleck, den sie spontan mit viel Spucke und einem Taschentuch entfernen möchte. Ach, nein, das ist gar kein Schmutzfleck, sondern eine weiteres Tattoo. Ist das zu glauben? Der Kerl trägt eine blaue Biene im Gesicht spazieren und auf seinen muskulösen Armen andere Vertreter aus Flora und Fauna.
    Energisch zieht sie ihre Tochter beiseite. »Guten Tag, wir haben uns ein wenig verlaufen. Könnten Sie uns den Weg zur Schrebergartenkolonie Waldfrieden erklären?«, fragt sie betont höflich.
    Der junge Mann federt mit gequältem Gesichtsausdruck aus der Hocke nach oben. »Mo-ment«, knurrt er und wendet sich mit einem Seufzer seinem Laptop zu, tippt Zahlen in eine Exceltabelle und fährt das Programm herunter.
    »Zählen Sie die Blumen?«, erkundigt sich Becky und stiehlt sich an Nelly vorbei wieder in den Vordergrund.
    »Nein, die Bienen«, brummt der junge Mann und klappt seinen Laptop zu. »Ist ein biophysikalisches

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