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Frau Schick macht blau

Frau Schick macht blau

Titel: Frau Schick macht blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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Stalin. Niklas schaut nicht sonderlich verblüfft zu ihr auf. Er ist zu überwältigt von akuten Kümmernissen.
    »Ich hab Herberger verloren«, murmelt er und zieht laut die Nase hoch. »Wegen dem Fluss und den Himbeeren.« Er deutet mit einem kleinen, rot verschmierten Daumen hinter sich. »Ich hatte so Hunger, und Stalin tragen kann ich nicht.«
    Nelly geht vor dem Jungen in die Hocke, legt Niklas’ Hühnerhut auf der Bank ab, eine Hand auf seine Knie und schaut ihn fest an. »Das mache ich«, sagt sie. »Und jetzt essen wir erst einmal was.« Sie weiß, dass es am klügsten ist, für Kinder – vor allem für todmüde und hungrige – zunächst das Naheliegende zu tun und jeden Wunsch nach Erklärungen auf später zu verschieben.
    »Was hast du denn zu essen?«, will Niklas, ebenfalls am Naheliegenden interessiert, wissen.
    »Nichts, aber im Führer steht etwas von einem Ausflugslokal, das nicht weit weg sein kann.«
    Und hoffentlich geöffnet ist. Nun, irgendetwas wird sich schon finden. Zur Not hat sie Frau Schicks Handy in der Tasche und kann ein Taxi herbeirufen. Das wird sie ohnehin tun müssen, um Herberger später einzuholen.
    Sie lockt Stalin unter der Bank hervor, schiebt behutsam eine Hand unter sein flaumiges Trommelbäuchlein und hievt ihn an ihre Brust. Niklas schiebt sich von der Bank und setzt seinen Hühnerhut auf. Nelly streckt ihm ihre freie Hand hin.
    Verflixt noch eins. Das ist nicht mehr der Jakobsweg!
    Mit grimmig gerunzelter Stirn steht Herberger vor einer Wandertafel, die antike Aquädukte und den weiteren Verlauf des Lehrpfades »Römische Wasserleitungen in Eifel und Rheinland« erläutert. Ein weiteres Stimmungstief bahnt sich an.
    Kreuzdonnerwetternochmal! Ein promovierter Geograf und Geologe, der sich auf einem ausgeschilderten Wanderweg verläuft, den er selbst einmal beschrieben hat, ist kein Zenschüler auf der Suche nach dem goldenen Pfad der Achtsamkeit, sondern ein Volltrottel. Nicht einmal die Himmelsrichtung stimmt, er ist statt gen Westen in nördlicher Richtung unterwegs. Ärgerlich wendet Herberger den Kopf, um die Strecke abzuschätzen, die er von der Bank beim Himbeerbusch bis hierher zurückgelegt hat. Dürften an die drei Kilometer sein.
    Sein Blick gleitet wieder zur Wandertafel. Wenn er in etwa einem Kilometer eine Schleife zieht und es querfeldein versucht, müsste er wieder auf den Jakobsweg treffen. Vielleicht lässt sich sein Umweg sogar als Abkürzung nutzen. Entschlossen kehrt er der Wandertafel den Rücken und macht sich an die Streckenkorrektur.
    Nelly hat Niklas nicht zu viel versprochen. Nach einem kurzen Schweigemarsch, den Stalin mit einem gelegentlichen Bellen kommentiert, taucht linker Hand und höchst idyllisch auf einer Anhöhe gelegen ein Fachwerkhaus auf, das sich per Hinweisschild mit gemalten Pfannkuchen und einer Aussichtsterrasse empfiehlt. Ein Muschelemblem weist es zudem als Pilgerherberge aus.
    »Magst du Pfannkuchen?«, fragt Nelly, während sie den Hügel hinaufsteigen.
    »Nur mit ohne Apfelmus«, sagt Niklas zaudernd.
    Aha, er mag sie also nicht, will aber brav und höflich sein. Solch heroische Selbstverleugnung kennt Nelly noch von Becky, wenn die etwas ausgefressen hatte.
    »Kann ich auch Bockwurst kriegen?«, setzt Niklas nach ein paar Schritten schon ungenierter hinzu. »Ich meine, für Stalin.«
    »Wenn er möchte, kriegt er sogar zwei«, verspricht Nelly.
    »Und Kartoffelsalat?«, fragt Niklas lebhaft nach.
    »Und Kartoffelsalat.«
    Sichtlich erfreut sprintet Niklas bis zur Terrassentreppe vor.
    Nelly freut sich ebenfalls. Allerdings nicht auf Kartoffelsalat, sondern über zwei Olivenbäumchen, die sie willkommen heißen. Wenn das kein gutes Omen ist! Gemeinsam mit Niklas erklimmt Nelly die Stufen.
    Stalin entwindet sich – von vielversprechenden Küchendüften spontan gestärkt – Nellys Armbeuge und springt auf die Terrasse. Sie ist noch menschenleer, aber bereits für das Mittagessen gedeckt. Stalin übernimmt die Tischauswahl. Ganz Connaisseur schnüffelt er sich in unmittelbare Küchennähe vor, macht Platz und klopft auffordernd mit dem Schwanz.
    Nelly verharrt auf der letzten Treppenstufe, um die Flussebene nach einem einsamen Wanderer abzusuchen. Niklas tut es ihr nach und beschattet seine Augen in Indianermanier mit der flachen Hand.
    »Siehst du was?«, fragt er hoffnungsvoll und meint ganz offensichtlich Herberger.
    »Nein.« Nelly schüttelt leise seufzend den Kopf.
    Niklas lässt bedröppelt die Hand sinken und seufzt

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