Frau Schick räumt auf
auch mehr, als im Reiseplan versprochen wurden.«
»Pah!«, schnaubt Hildegard. »Von einem Chauffeur und Hobby-Templer werde ich mir doch nicht den Jakobsweg erklären lassen.«
Paolo wirft Herberger einen scheuen Blick zu. Herberger nickt kurz. Paolo holt tief Luft: »Señor Herberger iste kein Chauffeur, er iste der Reiseführerautor Eckehart Gast, einer der besten Kenner des Camino.«
»Aber ja!«, freut sich Ernst-Theodor und schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. »Jetzt weiß ich endlich, warum er mir ohne Bart so bekannt vorkommt. Hildegard, das ist Doktor Eckehart Gast. Meine Güte, was für ein Vergnügen, Sie kennenzulernen. Ich hätte da noch einige Fragen zu den Templern!«
31.
Nelly kann es kaum abwarten. Rasch läuft sie in ihr Zimmer und bepackt ihren alten Rucksack mit den wichtigsten Habseligkeiten. »Geld, Gebiss, Gesangbuch«, murmelt sie, so wie ihre Großmutter vor dem sonntäglichen Kirchenbesuch immer gescherzt hat.
Lächelnd tastet Nelly nach dem Opal in ihrer Hosentasche, dann schultert sie den Rucksack. Erstaunlich, wie leicht er ist und wie wenig man im Grunde braucht. Reisen mit leichtem Gepäck sind die allerbesten.
Sie rollt Salsa Fun in die leere Empfangshalle und stellt ihn dort ab. Herberger hat sich bereiterklärt, auch den Gepäckchauffeur zu spielen. Er hat anscheinend auf einmal den guten Samariter in sich entdeckt, oder er will bei Paolo nach dem denkwürdigen Streit in Eunate wieder an Boden gewinnen. Einen ersten Schritt scheinen die beiden schon aufeinander zu gemacht zu haben. Denn im Anschluss an die erhitzten Diskussionen beim Frühstück haben sie zusammen den Speisesaal verlassen, um die geänderte Route durchzusprechen.
Nelly soll es recht sein. Hauptsache, es geht Paolo gut damit. Sie verabschiedet sich mit einem munteren Augenzwinkern von ihrem weitgereisten Koffer. Sollte Salsa Fun noch einmal in falsche Hände oder auf Abwege geraten, wäre das nicht schlimm. Sie hat alles, was sie braucht.
In leichter Regenjacke und ihren wundervollen Wanderschuhen tritt sie vor die Finca und begutachtet den sanft grauen Himmel. Im Kies haben sich nach dem kurzen Regenguss Pfützen gesammelt. Wasser perlt von der Pergola auf ihren Kopf herab. Die Luft schmeckt feucht und – wie von Hildegard prophezeit – nach noch mehr Regen. Nelly zuckt gelassen mit den Schultern. Was soll’s! Pilgern ist keine Schön-Wetter-Angelegenheit, da hat der Herberger schon recht. Sie freut sich unbändig darauf, einfach voranzukommen, umso mehr seit sie eben beim Packen in dem Camino-Führer, den Herberger ihr in Pamplona zugesteckt hat, entdeckt hat, wo Tosantos liegt, der Ort, in dem Javier ihr Mietauto an einer Tankstelle abgegeben hat: am Jakobsweg, kurz vor Burgos, das sie schon morgen erreichen werden. Viel stand über Tosantos – oder Todos Santos, also den Ort aller Heiligen – nicht drin. Aber auch das ist Nelly egal. Dann wird sie eben heute Abend im Internet mal danach gurgeln . Nelly kichert. Ganz unverbindlich, nur mal so. Wo es doch am Camino liegt.
»Sie wollen also tatsächlich in Frau Schicks Diensten bleiben und weitergehen?« Herbergers Stimme reißt Nelly aus den Gedanken.
»Ja«, sagt sie rasch.
»Warum?«
»Dasselbe könnte ich Sie fragen«, faucht Nelly und fixiert mit bedeutungsvollem Blick sein vernarbtes Kinn.
»Ich kann der alten Dame einfach nichts abschlagen«, grinst Herberger. »Sie wissen schon … Omnia vincit amor . Manchmal sind die Gefühle stärker als der Verstand.«
»Gestern fanden Sie den Spruch noch albern.«
»Ich habe es mir anders überlegt. Schließlich handelt es sich um einen der beliebtesten Wahlsprüche mittelalterlicher Ritter.«
»Das ist mir bekannt, Herr Neunmalklug.«
»Minnesänger schätzten ihn auch. Apropos. Was macht eigentlich Ihr Opal? Ich hoffe, Sie bewahren ihn sicher auf. Sie sollten ihn nicht allzu häufig der Sonne aussetzen. Das mögen Opale nicht.«
Nelly verdreht die Augen. »Dem Opal geht es gut, und Sie geht er nichts an.«
»In der Tat. Ich fände es nur schade, wenn Sie ihn irgendwo verlieren. Etwa bei einem weiteren Waldausflug.«
Blödmann.
»Ich habe mir übrigens erlaubt, Ihre Telefonrechnung zu begleichen. Hier ist die Quittung.« Er reicht Nelly einen Computerausdruck.
Nelly wird rot. »Oh, danke.« Den gestrigen Anruf bei Ricarda hat sie total vergessen. Den wollte sie vergessen. »Wie viel schulde ich Ihnen?«
»Nichts. Es war ja nur ein kurzer Anruf.«
Hinter ihnen im Empfang erhebt
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