Frau Schick räumt auf
Viertelstunde in Los Arcos sind.« Sie schirmt mit der Rechten ihre Stirn ab und hält hoffnungsvoll nach der von Regenschleiern verwischten Silhouette des Taldorfes Ausschau.
»Ich habe keine Angst, nur nasse Füße«, protestiert Frau Schick. »Bedauerlich waldarm, dieser Streckenabschnitt. Im Wald macht mir Regen überhaupt nichts.«
»Dafür ist der Weg hier schön breit und eben«, tröstet Nelly. Sie zieht erst Frau Schicks, dann ihre Kapuze tiefer ins Gesicht und hakt die alte Dame unter.
»Gegen die nassen Füße hilft gleich ein schöner heißer Tee«, versichert Bettina, die Frau Schick von rechts eingehakt hat und einen Schirm über ihren Kopf hält. »Ich habe getrocknete Linden- und Holunderblüten mit und außerdem ein hervorragendes homöopathisches Komplexmittel gegen Erkältungen.«
»Geben Sie das Ihrem Hundekalb. Ich brauche einen Filtro«, wehrt Frau Schick ab und sucht mit den Augen den Weg vor sich nach Quijote ab. Der tollt kläffend durch die Pfützen und verbellt das aufspritzende Wasser. Auch wenn es seinem artgegebenen Aussehen kaum angemessen ist, muss man sagen, dass er sich pudelwohl fühlt. Sehr angenehmer Hund, denkt Frau Schick, er erfüllt seinen Zweck und pariert, auch wenn er gar nicht weiß, dass ich ihn als Postillon d’amour zwischen Bettina und dem Basken engagiert habe.
»Was ist denn ein Filtro?«, will Bettina wissen.
»Heißer Kaffee«, erläutert Frau Schick. »Jedenfalls hieß er heute Morgen beim Frühstück so, und er schmeckte erstaunlich gut.«
»Ach«, schwärmt Bettina, »bei Herrn Viabadel schmeckt alles erstaunlich gut! Diese kleinen Feigen mit Ziegenkäse und Thymianhonig gestern und dann …«
»Ich hätte jetzt lieber ein vernünftiges Butterbrot«, unterbricht Frau Schick energisch Bettinas Menüschilderung. »Was hieß nochmal ›Butterbrot‹, Nelly?«
» Bocadillo« , übersetzt die und schaut sich kurz nach Paolo um, der ein paar Schritte hinter ihnen Hermann und Martha beim Gang durch das Pfützenmeer hilft.
Hermann erfreut sich an einer triefenden Blumeninsel aus lilagelben Küchenschellen, und Martha nickt zustimmend. Die beiden wirft wirklich nichts aus der Bahn.
Den recht anspruchsvollen Hang, den die kleine Gruppe vor dem Tal von Los Arcos nehmen musste, haben beide bedächtig und zügig zugleich genommen. Den hernach mit Macht einsetzenden Regen haben sie als willkommene Erfrischung begrüßt. »Das tut den Kalkastern gut, die blühen bei Regen doppelt schön«, hat sich Martha gefreut, und Hermann hat genickt. Jetzt muntern sie gerade Paolo auf. »Wir schaffen das schon, Herr Paolo. Hermann und ich sind den Camino schließlich schon zweimal gegangen: nach der Hochzeit und dann vor fünfzehn Jahren noch einmal zum silbernen Jubiläum. Erinnerst du dich noch, Hermann?«
»Ja, da wuchs aber Mohn, oder?«
»Da wuchs Mohn, mein Lieber, es war Frühling.«
»Frühling, ja, ich erinnere mich.« Er wiederholt das Wort, als ob er es sich dringend merken wolle. »Frühling.«
»1995«, ruft Martha ihm ins Gedächtnis.
»Ach ja. 1995. Ein herrliches Jahr! Ach Martha, wir hatten so viele schöne Frühjahre miteinander, so wundervolle Wanderreisen. Ich wünschte, wir könnten auch noch einmal nach Meran. Bei all den Trauben hier muss ich an Meran denken. Herrliche Palmen da und dieser Geruch der Libanonzedern. Wann waren wir da zuletzt?«
»Im Herbst 2005.«
»Also vor fünf Jahren.«
»Sechs, um genau zu sein, aber wir kommen sicher noch einmal dahin, Hermann. Ganz sicher.«
So viel Zuneigung und Verbundenheit nach einem jahrzehntelangen Eheleben bringen Nelly vor Rührung ein bisschen aus dem Takt. Selbst die ständige Wiederholung von Daten klingt bei beiden wie eine Liebeserklärung. Unglaublich, wie viel Glück und Gefallen manche Menschen aneinander finden. Die Chance auf eine so haltbare und lange Ehe hat sie für immer vertan. Weil sie ein halbes Leben lang nach Sonnengöttern statt nach einem Gefährten mit handfesten Interessen wie Wandern und Botanik Ausschau gehalten hat. Wandern und Botanik laufen mir ja nicht weg, tröstet sich Nelly.
Nur Männer wie Javier.
Nelly seufzt leise. Dann reißt sie sich zusammen und konzentriert sich wieder auf Frau Schick. Die alte Dame wächst unter dem Regen einmal wieder über sich hinaus.
»Jetzt legen wir mal einen Schritt zu«, verlangt Frau Schick munter. »Ich möchte eins von diesen Bokadingsdas, diesen fröhlichen Butterbroten.«
Bettina lacht. »Bocadillo klingt wirklich
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