Frau Schick räumt auf
anderen verabschiedet, um eine Extratour zu wandern. Frau Schick hat sich darüber ein wenig gewundert, denn laut Paolo handelt es sich um ein Wegstück, das auf weiter Strecke parallel zur Autobahn verläuft. Alle außer Nelly haben abgewinkt.
Seither hegt Frau Schick den Verdacht, dass es Nelly mehr um ein Tête-à-Tête mit Herberger als ums Wandern und die Schönheit der Natur ging. Ihr soll es recht sein. Bei Bedarf ist sie gern bereit, sich diskret einzumischen. Es macht Spaß, die Liebesfee zu spielen, und bei Bettina hat es bereits hervorragend funktioniert. Frau Schick lächelt. Ja, handfeste Nächstenliebe liegt ihr. Sie liegt ihr sogar außerordentlich.
»Paolo rechnet frühestens in einer Stunde mit den beiden«, reißt Bettina sie aus den Gedanken. »Er hat vorgeschlagen, dass wir hier Wasser und Proviant kaufen.«
Frau Schick stimmt einem Einkaufsbummel mit Kaffeepause zu. Nach Santo Domingo soll die Gruppe sieben Kilometer bis zur Grenze zwischen Rioja und der Region Burgos laufen, und danach geht es mit dem Bus weiter in die prachtvolle Kathedralstadt. So tauchen beide in ein Gässchen ab, das Ladenbesitzer mit Strohbesen, Fruchtkörben, Putzeimern, Knoblauchzöpfen, Petroleumlampen und anderen Gegenständen des ländlichen Lebensbedarfes ausstaffiert haben. Aus einem kleinen Kühllaster, der gerade noch ins Gässchen passt, werden gefrorene Fischblöcke entladen. Der Geruch des Meeres mischt sich mit dem Duft von Pfirsichen und Rioja-Trauben.
Der Lasterfahrer jagt einem halben Thunfisch einen Eisenhaken in die Kiemen und hievt ihn auf seinen Rücken. Ernst-Theodor, der die Pilgermesse geschwänzt hat, hält die Szene fotografisch fest. Hildegard steht daneben und wiederholt für ihn, Hermann und Martha noch einmal die Predigt, die sie eben in der Kirche gehört haben.
»Hildegard wird heilig. Wir machen uns wohl lieber unsichtbar«, murmelt Frau Schick und zieht Bettina rasch in einen Souvenirladen, wo Bettina und sie mit Ausdauer und wachsendem Enthusiasmus Madonnen in Jakobsmuscheln, aus Rebenholz geschnitzte Pilgerstäbe, weiße T-Shirts mit dem roten Kreuz der Santiago-Ritter und Rosenkränze studieren.
»Der hier würde hübsch zu Nelly passen«, ruft Frau Schick und hält einen Rosenkranz aus minzgrünen Perlen hoch, an denen ein feines Silberkreuz baumelt. Die durchscheinenden Perlen fangen einen Lichtstrahl ein, ihr Grün enthüllt irisierende Einschlüsse in Purpur und Rosa.
Bettina nickt anerkennend. »Regenbogenfluorit. Ja, das könnte zu Nelly passen. Immerhin soll Fluorit gedankliche Klarheit und innere Einkehr fördern.«
»Sie und Ihr Esoterikknall! Die Perlen passen zu Nellys neuem Leinenkleid, das ist alles«, erwidert Frau Schick.
»Frau Schick, Rosenkränze sind doch keine Schmuckstücke.«
»Der hier schon«, rebelliert die alte Dame und marschiert zur Kasse. »Nelly sollte sich heute Abend mal ein bisschen hübsch machen. Herberger würde es zu schätzen wissen.«
»Herberger!«, ruft Bettina entsetzt. »Aber um Himmels willen! Sie glauben doch nicht etwa, dass er Interesse an Nelly hat!«
Frau Schick wirft ihr einen tadelnden Blick zu. »Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen. Sie sind jetzt schließlich bestens versorgt. Señor Viabadel will doch heute Abend nach Burgos kommen, nicht wahr?«
»Nur um Quijote abzuholen.«
»Dafür muss man sich aber doch nicht in einer Tapas-Bar treffen, oder?«
Bettina übergeht die Anspielung. »Herberger und Nelly können einander nicht ausstehen.«
Frau Schick nimmt Wechselgeld und ein hübsches Tütchen entgegen. »Natürlich mag Nelly Herrn Herberger. Warum sonst hat sie als Einzige darauf bestanden, mit ihm an einer Autobahn entlangzupilgern, um ein paar Gartenzwerge anzuschauen? Drei Kilometer hin und drei zurück und danach ein Plauderstündchen im Jaguar. Darum geht es, wetten?«
»Frau Schick, die beiden besuchen keine Gartenzwerge, sondern das sogenannte Tal der tausend Steinmännchen«, sagt Bettina geduldig. »Es ist eine schöne neuere Tradition, dass Pilger auf der eintönigen Strecke Steine zu Figuren türmen, denen sie ihre Wünsche, Sorgen und Gebete anvertrauen. Es ist eine Art meditatives Ritual, das sich wie so vieles auf dem Camino spontan und von selbst entwickelt hat.«
»Das ist mir alles zu esoterisch. Die beiden wollen doch keine Stein- und Betmännchen basteln. Nein, nein, nein«, zweifelt Frau Schick. »Das ist doch ein Klassiker: Mann trifft Frau, Frau trifft Mann, beide streiten, erotische Spannung
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