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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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schöne südländische Tradition pflegt, Briefe und besonders Postkarten sehr gemächlich und nach dem Zufallsprinzip zuzustellen. Gleichzeitig werden ihre Nachrichten an Becky in keinem Fall eintrudeln, es sei denn, es geschieht ein Wunder.
    Nelly flaniert durch eines der berühmten Gässchen von Burgos, ersteht frittierte Pulpo auf die Hand und betrachtet die Auslagen eines Devotionaliengeschäftes. Sie würde Frau Schick gern einen geschmackvolleren Rosenkranz kaufen, vielleicht diesen dort aus Rosenachat und Alabasterperlen. Sie schüttelt unwillkürlich den Kopf. Nein, der richtige Rosenkranz muss ihr woanders begegnen und »Nimm mich« flüstern, sonst ist es sicher nicht der richtige.
    Sie schlendert weiter, wischt sich die Hände mit einem Taschentuch sauber und sucht einen Papierkorb, als mit einem Mal ihr Herz aussetzt.
    Sie sieht Javier, der in das Dunkel einer Bar abtauchen will.

39.
    Nein, nein, nein. Das kann nicht wahr sein, denkt Nelly mit klopfendem Herzen. Das darf nicht wahr sein.
    Ihr Herz klopft, weil sie auf dem Absatz kehrtgemacht hat und die Gasse soeben in entgegengesetzte Richtung verlassen hat. Eine spontane Flucht. Vor sich selbst und einem optischen Streich.
    Ich mal wieder, denkt Nelly. Der Mann war nicht Javier. Es gibt viele, ja unzählige Männer mit breitem Rücken und dunklen Locken. Aber nur einen mit Kerosinblick. Das Rückendouble von Javier hatte olivgrüne Augen. Und die haben Nelly sehr erstaunt gemustert, nachdem sie ihm »Javier!« zugerufen hatte. So laut, dass der Fußgängerverkehr in ihrer unmittelbaren Nähe kurz zum Erliegen kam.
    Jetzt steht sie an eine Hauswand gelehnt auf dem belebten Kathedralplatz von Burgos, atmet stoßweise und sehnt sich nach ihrer Sonnenbrille, die sie dummerweise im Hotel vergessen hat. Nackt und entblößt fühlt sie sich, beinahe so wie damals in Pamplona. Damals vor VIER Tagen. Verdammt, und sie hat sich eben im Café schon für den Beweis einer wundersamen Spontanheilung durch ein paar Spaziergänge auf dem Camino gehalten! Sie und eine Pilgerin. Lachhaft!
    Ruhig durchatmen, einfach durchatmen, befiehlt sich Nelly und löst sich von der Hauswand, um in der bunten Menschenmenge abzutauchen. Immerhin ist ihr nicht nach Carlos Primero . Was sie jetzt will, sind ein klarer Kopf und ein Ort, an dem sie sich ganz schnell verstecken kann. Am besten vor sich selbst.
    »Kleine Führung gefällig?«
    Nelly wirbelt herum. Herberger! Auch das noch. Er muss direkt aus der Gasse gekommen sein, die sie soeben so fluchtartig verlassen hat. Hoffentlich hat er den Schrei, ihren Sprint und ihre Hasenhaken mitten durchs Getümmel nicht mitbekommen.
    »Sie sehen auf das Hauptportal. Die Doppelturmfassade ist ein erstes Meisterwerk der spanischen Gotik. Die Kathedrale von Burgos wird die ›weiße Dame unter Spaniens Kirchen‹ genannt«, beginnt Herberger nahtlos mit der Kirchenführung. »Sie lässt einen die zerfressenen Außenbezirke von Burgos, die grauenhaften Hochhaushälse und Industriemonster vergessen. Kommen Sie.«
    »Sie müssen mich nicht begleiten«, wehrt Nelly ab, denn Herberger sieht ganz und gar nicht danach aus, als erfülle ihn die Aussicht auf eine erneute Extratour an ihrer Seite mit Freude.
    »Ich tue es aber«, sagt Herberger knapp. Er fasst Nelly am Ellbogen und bahnt sich mit ihr einen Weg durch die Menge zum Portal. Unterwegs rasselt er etwas von gotischer Steinkunst, durchbrochenen Turmspitzen und Strebebögen herunter. »Die filigranen Steinmetzarbeiten erinnern an Spitzenmantillas. Sandstein von solch blendender Helligkeit bekommt man selten zu Gesicht. Hier ahnt man, wie der gotische Traum vom Abbild des Himmels aussah. Der Kampf gegen Zerfall und Verfärbung des porösen Baumaterials ist dennoch, wie überall, beinahe aussichtslos. Im Inneren der Kirche steigt Grundwasser auf und zersetzt Alabastersäulen und Figuren …«
    »Hören Sie auf!«, wehrt sich Nelly. »Sie haben mich heute Morgen im Tal der Steinmännchen bereits erschöpfend über Leitfossilien und die Bestimmung von Erdzeitaltern mittels Gesteinsproben informiert. Ich will die Kirche einfach anschauen. Allein. Die Details kann man schließlich in jedem Führer nachschlagen.«
    Wenn man denn will. Nelly will es aber gar nicht. Sie will jetzt nur über die himmelstürmenden Doppeltürme staunen und sehen, wie sich das Licht in der gigantischen Fensterrosette bricht. Das muss ein herrlicher Farbregen sein, ein echtes »Guck mal«-Wunder.
    »Was die mittelalterlichen

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