Frau Schick räumt auf
danach diesen unfassbar tollen Mann vernaschen, halt!, nein!, verkosten! Er ist keine Colaschnur.
Nelly summt Strangers in the night . Sinatra passt so schön zu dem Kostüm und Pamplona. Love is just a glance away. Oh ja, die Liebe ist nur noch einen Blick entfernt, gesehen hat sie ihn ja bisher nur auf einem Foto.
Der Sandton des Kostüms bügelt offensichtlich auch ein paar Falten aus ihrem Gesicht, oder ist es ihr unfassbares Glück, das sie so leuchten lässt?
»Ich tippe auf einsetzende Altersfehlsichtigkeit«, schlängelt sich Ricardas Stimme in Nellys Ohr.
Nelly schüttelt den Kopf. Unsinn! Ricarda ist in der Küche! Sie sieht noch passabel aus, sehr passabel! Die Nase ist gerade, der Mund noch gut sichtbar, kein verkniffener Strich. Wenn sie entspannt guckt, so wie jetzt, fallen die entstehenden Schlupflider kaum auf, und der Pony ihres neuen Pagenkopfes verdeckt gnädig die Linien, die ihr Alter allmählich auf die Stirn zeichnet. Und wer wird denn so kritisch sein. Nelly ist es leid, darüber nachzudenken, ob und wie anziehend und faltenfrei sie ist. Das hat sie in ihren völlig faltenfreien Dreißigern lange genug getan, und nie war sie zufrieden mit dem Ergebnis – wie viele andere attraktive Frauen auch. Ein Jammer, dass man über das viele Nachdenken seine reizvollsten Lebensjahre einfach verpasst, interessante Männer mit Selbstzweifeln und lästigen Nachfragen vergrault oder krampfhaft die Falschen festhält.
»Wie recht du hast«, mischt sich die imaginäre Ricarda ein. »Wahre Schönheit kommt wie wahre Liebe nur von innen. Ich etwa verdanke mein strahlendes Aussehen dem Innern meiner Cremetöpfchen, und nicht zu vergessen: Ich trinke literweise Wasser.«
»Du und Wasser!«, schnaubt Nelly, als wäre Ricarda zugegen. Ist sie aber nicht. Der Korken scheint sehr fest zu sitzen.
Nelly schaut sich noch einmal in ihrem Schlafzimmer um, linst sogar unter das Bett. Keiner da, nur ein Lebenshilfe-Bestseller von Eckehart Tolle und einige andere Ratgeber, die gemeinsam Staubmäuse fangen, statt an Nellys Erleuchtung zu arbeiten.
Zeit für eine weitere Generalprobe in Sachen Pamplona.
Nelly tastet mit geschlossenen Augen nach den Häkchen am Rockbund, öffnet und schließt sie mit wachsendem Tempo. Wunderbar! Das dürfte sogar bei gedämpftem Licht und bebenden Fingern gelingen. Ihren oder besser seinen Fingern. Er schafft es bestimmt, sie mit einem Arm festzuhalten und … Auf dem Foto jedenfalls wirkt Javier kraftvoll und feurig wie Antonio Banderas in seinen besten Jahren.
Hinter geschlossenen Lidern sieht die einstige Drehbuchautorin Nelly alles vor sich. Auf Breitbildleinwand. Zunächst ein Kameraschwenk über die Kulisse. Ein Hotelzimmer … Halt nein! Sie hat ja eine Suite gebucht, eine Suite mit dem wohlklingenden Namen Alhambra. Samt Himmelbett in orientalisch-floraler Schnitzerei und Bettwäsche aus ägyptischer Baumwolle. Was auch immer daran besonders ist. Abgesehen vom Preis. Egal, ins Glück muss man investieren, und es muss ja zu einem Juniorchef, Neruda-Kenner, Finca-Erben und rundum fantastischen Traumkerl passen. Weiter im Film.
Nelly wagt eine Nahaufnahme von sich und Banderas – Quatsch – von Javier natürlich. Sie stehen eng umschlungen nur einen Meter vom Bett entfernt. Umhüllt von weichem Mondlicht. Jawohl, Mondlicht! Das hat sie recherchiert. Eine berufliche Marotte. Schließlich durfte sie sich bei der Beschreibung von Traktorenmotoren nie den kleinsten Übersetzungsfehler leisten, damit die Ungetüme auch mithilfe der spanischen und englischen Gebrauchsanweisung ans Laufen kamen. Morgen ist Vollmond, und das Onlinewetter verspricht eine wolkenlose Nacht über Pamplona. Alles wird perfekt sein.
Wo war sie stehengeblieben? Ach ja … Er hält sie im Arm, fährt womöglich mit einer Fingerkuppe über ihre Lippen. Schnitt!
Nelly friert die Szene ein und öffnet die Augen. Muss sie ihre Lippen vorher abschminken, oder sollte sie sich einen kussfesten 24-Stunden-Lippenstift kaufen? Die kennt sie von Becky. Moment! Braucht Becky so etwas schon? Hoffentlich nicht! Jedenfalls bitte nicht, um vierundzwanzig Stunden Kussbereitschaft zu signalisieren.
Nelly schließt erneut die Augen und erlaubt sich einen Kameraschwenk in Richtung Bad. Auf den Internetfotos der Alhambra-Suite ist es groß wie ein Ballsaal und beherbergt eine Marmorwanne und einen Whirlpool, der allerdings erst später zum Einsatz kommen sollte. Sex in der Badewanne ist beim allerersten Mal ein wenig exotisch,
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