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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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alter Bekannter, erklärt er und kauft dem Spinner einen mannshohen Pilgerstab ab. Ob aus Mitleid oder weil er an Höllenhunde glaubt, verrät er nicht.
    Noch einmal geht es steil nach oben eine Böschung hinauf. Die letzte, wie Javier verspricht. Er steigt voran. Oben angekommen reicht er Nelly die Hand, um ihr hinaufzuhelfen. Es ist eine nette Geste und ein kleiner Trick. Als sie neben ihm steht, zieht er sie an sich und küsst sie.
    Nelly küsst nicht zurück und träumt sich auch nicht auf ein Südseeatoll wie damals in Bilbao. Ihr wird nur ein winziges bisschen schwindelig. Das kann aber auch an der senkrecht herabstechenden Sonne liegen. Sie hat keinen Hut auf. Und außerdem stinkt es hier oben nach Busabgasen.
    »Foncebadón«, sagt Javier und weist zu einer kleinen Siedlung hinauf, vor der auf einem Sandplatz gleich drei munter ratternde Dieselbusse parken, um Touristen zu entladen.
    Nelly hält unwillkürlich Ausschau nach ihrer Gruppe. Wie albern. Paolo und die anderen haben schließlich keine Wegetappen übersprungen.
    Der Ort besteht aus bröckelnden Katen, Mauerstümpfen und zerfallenden Scheunen, die notdürftig mit Blech bedeckt sind. Trotz allem ist das Dorf, das ein Eremit gegründet hat und in dem im Mittelalter noch Kirchenkonzile tagten, an einem Sonnentag wie diesem alles andere als unbelebt. Der Knüppelverkäufer im Kettenhemd war nur ein Vorbote des bunten Rummels, der Nelly und Javier in Foncebadón erwartet. Weil es ein Geisterdorf sein soll, wollen Pilger und Touristen das Dorf mit seinen fünf Dauerbewohnern sehen. Darum gibt es längst wieder drei Hostals und Refugios. Eins verzaubert mit gediegener mittelalterlicher Atmosphäre, ein anderes bietet biodynamisches Essen, Erdinger Weißbier und sogar Hydro-Massage-Duschen an. Selbst ein Nobelrestaurant findet sich.
    Das ist ziemlich viel Wellness für Wallfahrer, findet Nelly und schämt sich sofort. Herrje, sie hat es nötig! Als ob sie jetzt nicht ebenfalls liebend gern eine Massagedusche aus zwölf Brauseköpfen genießen würde. Als ob sie nicht selbst in den letzten Tagen den Komfort einer spirituellen Luxusreise und Hotels wie die Finca von Herrn Viabadel genossen hätte! Und was ist falsch daran, wenn eine strukturschwache Region, die viel Armut und Not kennt, nutzt, was sie zu bieten hat? In den meisten Fällen tut sie es durchaus charmant.
    Herbergers Homepage blitzt kurz in ihren Gedanken auf. Seine Textsammlung über die Widersprüchlichkeiten des Weges und darüber, dass es an einem selbst liegt, was man darin sieht und daraus macht. In Viana hat sie das für Geschwätz
    gehalten, jetzt bemerkt sie, dass Herberger weise Zurückhaltung geübt hat, um niemanden zu verletzen und alle vorzuwarnen, die hier heile Welt, spontane Erlösung von allem Übel oder hehre Einsamkeit erhoffen. Was hier geschieht, behagt ihr dennoch nicht. Es ist zu viel des Guten am verkehrten Platz. Selbst die kirchliche Herberge bietet neben Messen in der restaurierten Kirche, die vom Schlafsaal aus betreten werden kann, einen Internetanschluss an. Immerhin wird dieser Service nach wie vor gegen donativos , Spenden, angeboten.
    Javier stört der Rummel offensichtlich weniger. Er erzählt stolz, dass im Web bereits Restaurantkritiken und Hotelbewertungen über Foncebadón kursieren und es Pauschalangebote für Tagesausflüge gibt. »Jede Menge privater Investoren und Eventgastronomen haben Pläne für das Dorf«, sagt er. »Und das alles nur, weil ein paar mutige Aussteiger und Pioniere vor einigen Jahren das Dorf wiederentdeckt haben.«
    »Ein Paradies«, wendet Nelly ein, »sieht anders aus.« Ihr missfällt Javiers begeisterter Unterton.
    Zu ihrer unendlichen Erleichterung nickt Javier. » S í. Foncebadón ist verloren. Hier hat man einiges falsch gemacht. Aber das ist auch nicht unser Ziel.« Vor allem, ergänzt er, weil sich in seinem Paradies konkurrierende Restaurantbetreiber oder verfeindete Bewohner nicht nachts gegenseitig die Häuser anzünden.
    Als Nelly ihn entsetzt anstarrt, erzählt Javier schulterzuckend von einer Brandstiftung, die sich einige Jahre zuvor in Foncebadón zugetragen hat. Bedauerliche Folgen einer gewissen Goldgräberstimmung; außerdem sind die Winter hier oben lang.
    Nelly will rasch weg aus einem Dorf, das bei nur fünf Bewohnern eine derart hohe Verbrechensrate aufweist.
    Hinter dem Dorf wählt Javier einen Abzweig des Camino und führt Nelly in nordwestlicher Richtung. Hinein geht es in eine versteckte Talsenke, die an

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