Frau Schick räumt auf
wenn sie daran denkt, wie dankbar sie der Thekla damals war und wie gerührt.
Nun, den Nachnamen von Todden hatte der Knabe ja ohnehin schon von ihr. Denn Thekla blieb ein Leben lang als ihre elf Jahre jüngere Schwester registriert, und sie hatte den Vater von Klein-Johannes als unbekannt angegeben. 1967 war das im Heiligen Köln noch ein Skandal. Aber kein vernichtender, weil der Sprössling aus dem noblen Haus von Todden kam.
Und dem reichen Hause Schick.
»Verdammt!«, entfährt es Frau Schick. Ihre Hände krampfen sich wie ihr Herz fest zusammen. Ihre Augen suchen das Gesicht der Madonna. Die hat zwar seelenvoll dunkle Augen, nicht so blaue wie die Thekla, aber was soll’s. Einmal muss es ja raus.
»Ich habe Pauls und deine Liebesbriefe gefunden«, sagt sie. »Drei Stück, um genau zu sein.« Heiser hallt ihre Stimme von den Kirchenwänden zurück. Gute Akustik hier. »Damit musst du doch gerechnet haben«, fährt sie mit fester Stimme fort.
Ja, das muss sie. Immerhin hat Thekla bestimmt, dass sie den Nachlass in ihrer Kölner Wohnung sichten und sortieren, die Kleider zusammenlegen, die Möbel ausräumen und das Appartement verkaufen sollte. Das hat Frau Schick auch getan, aber zur Beerdigung in Bad Zwischenahn ist sie danach nicht mehr gefahren. Auch deshalb ist Thekla nicht richtig tot. Nicht für sie.
»Warum hast du die blöden Briefe nicht einfach verbrannt, nachdem du mich ein Leben lang belogen und betrogen hast?«
Die Madonna von Burguete schweigt im Chor mit allen Heiligen.
»Weshalb hast du überhaupt gelogen? Hattest du Angst, ich würde dir den Johannes wegnehmen? So wie du mir mein Paulchen Schick geklaut hast?« Sie bricht ab. Wenn man es laut ausspricht, hört man, dass alles Unsinn ist. Passt ja hinten und vorne nicht. Sie hätte Thekla den Johannes nie und nimmer wegnehmen können, auch wenn sie ihrer Ziehschwester vor der Geburt angeboten hat, das Baby aufzuziehen, weil sie noch so jung war. Aber das hat Thekla nicht gewollt, und so wurde Frau Schick nur Patentante. Herrje!, das Angebot war gut gemeint. Mehr nicht. »Mehr nicht, hörst du«, bekräftigt Frau Schick sehr laut und hört selbst den Zweifel in ihrer Stimme.
Und was heißt schon, Thekla hat ihr den Paul geklaut? Auch das ist Blödsinn. Ein Kerl wie Paul gehört ganz allein sich selbst, und er ist ja auch bei ihr geblieben. Und hin und wieder zu Thekla gegangen. Konnte sich damals wohl nicht entscheiden. Das hat er ja nie gern getan, wenn es um Frauen ging. Thekla hat ihm die Qual der Wahl schließlich einfach abgenommen und ist mit dem fünfjährigen Johannes für zwölf Jahre verschwunden. Über Nacht und zunächst, ohne eine Adresse zu hinterlassen.
Paul hat ihr verboten, nach Theklas und Johannes’ Verbleib zu forschen. »Glaubst du nicht, es ist Zeit, dass sie ihr eigenes Leben führt? Sie kann schließlich nicht ewig dein dankbarer Schatten sein«, hat er gesagt.
Schatten, was für ein Blödsinn! Thekla war das Licht ihres Lebens, als es am dunkelsten war. Thekla hat ihr das Leben gerettet, nicht umgekehrt!
Vier Jahre später kam dann ein Brief von Thekla aus Bad Zwischenahn. Frau Schick war so verletzt und wütend auf Thekla, dass sie die beiden nie besucht hat. Die Zurückweisung war einfach zu schmerzlich, der Schock über Theklas wortloses Verschwinden hat sie wehr- und hilflos gemacht, obwohl sie die Sache mit Baby Johannes damals noch gar nicht durchschaute.
Nach einer Weile hat sie Theklas Briefe dann doch beantwortet. Aber hinfahren? Nein, das kam immer noch nicht infrage. Zumal sie ja nirgends gerne hingefahren ist, nachdem sie Köln im März fünfundvierzig endlich erreicht hatte. Dass auch nie eine Einladung von Thekla nach Bad Zwischenahn kam, muss Paul sehr recht gewesen sein. Halunke!
Ihrem Patenkind Johannes hat Frau Schick natürlich dennoch regelmäßig Geschenke geschickt und sich gefreut, wie ähnlich er Thekla auf allen Fotos sah – bis auf die abstehenden Ohren – und dass Paul die Ausbildung des Patensohns so großzügig finanzierte. Die war wirklich vom allerfeinsten: mit fünfzehn ein Eliteinternat in England und dann ein Studium in Cambridge, wo Johannes jetzt Professor für Wirtschaftsrecht ist.
Lange hat sie geglaubt, dass es ihr das Herz brechen würde, ihr kleines, nunmehr großes Patenkind Johannes wiederzusehen. Weil sie nun einmal keine eigenen Kinder bekommen konnte – im Gegensatz zu Paul. Dessen persönlicher Assistent und Grüßaugust ist ebenfalls ein Spross seiner
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