Frau Schick räumt auf
ersten Kaffee und ein Bocadillo zu warten.
Sie taucht in den grünen Kirchhof ein. In den gestutzten Platanen lässt die Morgenbrise die Blätter leise rauschen. Rechter Hand informiert eine Schautafel über heidnische Kulte, Magie und baskische Hexenbräuche. Ein sicheres Zeichen dafür, dass sie längst vergessen sind. Von wegen mystische Kraftorte, pah! Was selbstverständlich ist, muss nicht von Kulturvereinen konserviert werden, hat schon Kurt Tucholsky gemeint. Und es muss schon gar nicht von einer Bettina erläutert werden.
Frau Schick legt den Kopf in den Nacken und betrachtet das Kirchenportal: viel Renaissance und ein bisschen zwanzigstes Jahrhundert. Im Bogen und auf Mauervorsprüngen hockt ein munteres Dämonenvolk, auf Pfeilerköpfen wuchert Moos aus dem hellgrauen Stein. Die listigen Teufelchen gefallen Frau Schick. Die gucken mehr keck als bedrohlich und strecken der Welt die Zunge heraus.
»Dang, dang, dang, dang!«, läutet es blechern aus dem Glockenturm über ihr. »Dang, dang, dang!« Sieben Mal. Schon so spät?
Sie legt die Hand auf den Schmiedering der Kirchenpforte und zögert doch. »Soll ich, soll ich nicht, soll ich«, zählt sie an den Ziernägeln im Türblatt ab und endet beim letzten Glockenschlag bei »Soll ich«.
Sie atmet noch einmal tief durch und drückt auf. Kreischend schwingt der Torflügel nach innen, ein Hauch von Weihrauch und der Staub von Jahrhunderten schlagen Frau Schick entgegen. Kaum ist sie eingetreten, schließt die Tür sich mit dumpfem Klappen.
Mit zur Decke gerecktem Kopf tappt sie in Richtung Altar. Ihre Walkingstöcke lässt sie wie Blindenstöcke vor sich herschwingen. Ihre Schritte hallen auf dem Steinboden, die Stöcke schlagen gegen eine Kirchenbank. Sie knarrt vernehmlich, als Frau Schick sich hineinsinken lässt, und ist weit wackliger auf den Beinen als sie.
Frau Schick schaut sich um. Besonders beeindruckend ist das alles nicht. Altar und Innenraum sind ziemlich neu. Hier muss mal ein Brand oder ein Krieg gewütet und alle romanischen oder gotischen Elemente und nennenswerten Kunstobjekte vernichtet haben. Nun, umso besser, da lenkt sie kein Gold und Gepränge vom Wesentlichen ab.
Rechts und links von ihr starren die üblichen Heiligen mit glasigem Blick auf sie herab. Schauen die mürrisch drein! Hinter dem Altar leidet der Gekreuzigte in lebensnaher Farbgebung, Hochglanzlackierung und mit gesenktem Blick. Nein, mit denen hat sie nichts zu bereden! Was will sie eigentlich hier?
Ihre Augen finden eine Madonna mit himmelblau lackiertem Faltengewand. 19. Jahrhundert in Reinform, gruselig süßlich, sieht aus wie ein Glanzbildengel. Ach, naja, Glanzbildengel sind nicht das Schlechteste, damit hat sie in der Pöhlwitzer Dorfschule früher schöne Tauschgeschäfte gemacht. Für eine Dose Keksbruch von der Schemutat konnte sie eins mit Glitzer abstauben.
Den Heiland präsentiert die Gottesmutter von Burguete in Gestalt eines pausbäckigen Moppelchens, das bis fast unters Kinn in detailliert gestalteten Windeln steckt. Der Künstler war offensichtlich ein Meister im Faltenschnitzen. Bei den Windeln hat er sich richtig ausgetobt, vielleicht um von den leicht abstehenden Ohren des Jesuskinds abzulenken. Da hat er gepatzt – zum Vorteil des Fratzes, der dadurch wirklich pfiffig und bemerkenswert lebendig aussieht.
Der Ohren wegen bleibt Frau Schicks Blick am gelockten Moppelchen hängen. Solche Ohren hatte Theklas Sohn auch. Überhaupt sah er diesem Christkind von Burguete vor dreiundvierzig Jahren und als Baby ein bisschen ähnlich: moppelig, gelockt und pumperlgesund und schwer zu bändigen. Der Knabe hat ihr sogar bei der Taufe unter kräftigem Protestgebrüll auf die Hände gestrullert, just als der Pfarrer ihm das Wasser über Stirn und Segelohren goss.
Wann hat sie das nur alles vergessen? Es war insgesamt eine sehr feuchte Taufe. Ihr selbst ist dabei das Wasser in die Augen gestiegen. So ein rundum gelungenes Baby, so rosa weich und duftend in seinen Speckfalten. Diese unfassbar winzigen Füßchen.
»Eure Kinder sind nicht eure Kinder. Sie sind Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst«, hat auf dem Taufzettel gestanden.
Den Säugling damals auf den Armen zu halten war ein Wunder und ein Geschenk.
Johannes haben sie ihn getauft, nach Frau Schicks Papa. »Weil du Patentante bist und der wichtigste Mensch in meinem Leben«, hat Thekla damals gesagt, »musst du den ersten Vornamen auswählen.« Jäh keimt Ärger in ihr hoch,
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