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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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Herberger klingt erschöpft und aufgeregt.
    Niemand antwortet, und Herberger beginnt erneut. »Ich finde, ein Glücksfall sieht anders aus.«
    Oho, meint er damit Bettina? Frau Schick lächelt verstohlen. Das wäre aber gemein.
    »Und was ist, wenn wir auffliegen?«
    Noch immer keine Antwort. Dafür quietscht das Bett, und Herberger seufzt laut. »Ach, ich bin zu müde. Es war ein anstrengender Tag gestern, und wie ich Frau Schick kenne, wird es heute nicht besser. Wie? Ich bin nun mal keine zwanzig mehr; eine Stunde Schlaf werde ich mir schon noch gönnen dürfen, oder?«
    Oh, von mir aus auch zwei!, denkt Frau Schick.
    Der Rest ist Schweigen. Sie zuckt mit den Schultern. Sie wird Bettina und Herberger im Auge behalten.
    Sie tastet sich an der Wand entlang zu der schmalen Treppenflucht. Die dunklen Stufen sind ausgetreten und ebenso liebevoll poliert wie das Mobiliar. Sehr tückisch. Mit angehaltenem Atem bewältigt sie die Stufen. Vierundfünfzig zählt sie, bis sie nach einer gefühlten Ewigkeit den tongefliesten Eingangsbereich erreicht hat. Draußen triumphiert bereits die Sonne.
    Es ist ein herrlicher Morgen, und Frau Schick verweilt einen Moment vor dem weißgetünchten Bauernhotel, um ihn zu genießen. Die Luft prickelt feucht und frisch und macht sie fröhlich. Sie schaut die pikobello gefegte Dorfstraße hinauf und hinab. Nicht zu glauben! Es kommen bereits drei wackere Wanderer auf sie zu. Die müssen bei Nacht und Nebel losgegangen sein. Das Klackern ihrer Stöcke auf dem Asphalt wird vom Gurgeln zweier Bächlein begleitet, die die Straße in gemauerten Rinnen flankieren.
    » Buen camino« , grüßen die Pilger.
    Frau Schick grüßt zurück und folgt ihnen mit ein wenig Abstand. Vorbei geht es an rot gedeckten und weiß getünchten Fachwerk- und Natursteinhäusern. In verwitterten Balkonkästen wippen neben roten Geranien purpurfarbene Petunien und buttergelbe Ringelblumen im Morgenwind. Ein tapferes und wetterfestes Blumenvolk, ganz nach Frau Schicks Geschmack, denn die Pflanzen machen nicht viel Aufhebens um sich und erfüllen zuverlässig ihren Zweck. Die umliegende Bergwelt könnte einem deutschen Heimatfilm entstammen. Auch wenn sie nie da war, erinnern Burguete und die umgebende Berglandschaft Frau Schick an Voralpen und Allgäu.
    Das Ganze würde sich prächtig als Märklindorf auf einer Eisenbahnplatte machen. Paulchen Schick hatte eine. In einem Extrazimmer unterm Villendach. Wie alle Kriegskinder hatte er einen ungeheuren Nachholbedarf in Sachen Spielzeug. Seine Eisenbahnanlage hat er eine Weile mit an Besessenheit grenzender Leidenschaft ausgebaut. »Für unseren Sohn«, hat er behauptet, der dann allerdings nie kam.
    Dass sie beim Gehen immer so ins Nachdenken kommt! Wo soll das hinführen? Na, weit hat sie es ja nicht, nur ein kurzes Stück die Straße hinab. Dann hat sie ihr Ziel erreicht.
    Als sie losging, wusste sie noch gar nicht, dass dies ihr Ziel sein würde. Eine Kirche zu besuchen, hat sie sich gestern vorgenommen. Irgendeine. Und hier ist eine. Sie steht direkt an dem kleinen Dorfplatz, auf dem man nach Feierabend und an Sonntagen wahrscheinlich seit Hunderten von Jahren zusammenkommt. Die Alten kakeln und klatschen oder sitzen einfach versonnen da, die Jugend tauscht vielsagende Blicke und flirtet ungelenk. Falls es hier überhaupt noch Jugendliche gibt.
    Der Platz schmeckt ganz unspektakulär nach Heimat im guten Sinne. Bis in den letzten Winkel ihrer Herzgrube spürt Frau Schick: Das hatte ich auch mal. Ganz kurz, zu kurz. Und dann hat der verdammte Hitler seine schmutzigen Finger, sein Drecksmaul und sein großkotzertes Fahnengepränge reingesteckt und alles verdorben. Vor allem die Menschen. Die haben es ihm aber auch grauenhaft leicht gemacht.
    Frau Schick seufzt leise. Durch Hitler hat das schöne Wort Heimat in Deutschland einen unerträglich verlogenen Beigeschmack bekommen, und in Ermangelung ungetrübter Bauernidyllen sind ganze Generationen deutscher Kriegs- und Nachkriegskinder nach Griechenland, Italien und weiß der Kuckuck in welchen Weltwinkel gereist, um dort unverdorbenes Heimatglück zu besichtigen. Sie nicht. Sie hatte nie Heimweh nach der Ferne oder der Vergangenheit. Außerdem explodieren bekanntlich auch im Baskenland Bomben. Unverbesserlich, der Mensch, einfach unverbesserlich!
    Jetzt aber Schluss! Energisch stapft Frau Schick auf die ummauerte Kirche zu, während die frühmorgendlichen Jakobspilger sich vor der geschlossenen Dorfbar postieren, um auf einen

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