Frau Schick räumt auf
kommt ihr vor, als sei sie kaum in den Wald hineingegangen, da ist sie schon wieder draußen. In einer Senke taucht ein Straßendorf auf. Weiße Häuser, rote Dächer und ein Kirchturm. Soll das für heute schon alles gewesen sein?
Von Dorfidylle, sanftem Hügelland und geraden Wegen wird sie nicht satt. Diese falsche Idylle kann ihr gestohlen bleiben. Frau Schick erschrickt kurz, weil sie ein bisschen nach Hildegard und ihrem »falschen Camino« klingt. Die Gruppe färbt ganz bedenklich auf sie ab. Erst Bettina, und nun das. Aber wahr ist es trotzdem: Für ein bisschen Beschaulichkeit hätte sie auch in die Eifel fahren oder den Tag in Burguete verbummeln können.
Genau das teilt Frau Schick ihrem Chauffeur wenig später unmissverständlich mit, als der grinsend vor der Kirche herumlungert und »Auf nach Pamplona« flötet. »Möchten Sie vorher noch einen cortado oder einen Milchkaffee?«
»Der Camino ist keine Kaffeefahrt, und ich will auf keinen Fall nach Pamplona!«
»Das ist aber das heutige Etappenziel der Gruppe«, beharrt Herberger störrisch wie ein Maultier. »Und die wollen Sie doch nicht verpassen, oder?«
»Ach, die anderen sind doch noch Stunden unterwegs!«
»Genau, und Sie brauchen jetzt ein Päuschen in Pamplona.«
»Sie können es wohl nicht abwarten, bis Sie Ihren Bettschatz wieder angurren dürfen.«
Herbergers Gesicht wechselt kurz die Farbe.
Frau Schick sieht es ganz genau und triumphiert heimlich. Ha, Treffer!
Aber nicht versenkt. Herbergers Miene wird offiziell und sehr streng. »Sie können ab hier unmöglich weitergehen, die Steigungen sind für Sie zu schwierig.«
»Papperlapapp!«
Herberger öffnet energisch die Wagentür. »Ich fahre Sie nach Pamplona, basta!«
»Hier bestimme immer noch ich, Herr Doktor, und wenn Sie nicht parieren, gehe ich einfach weiter.«
»Frau Schick«, Herberger seufzt laut, »Hemingway hat nicht umsonst gesagt, dass Burguete und Espinal sich in der wildesten Gegend der Pyrenäen befinden.«
»Wild?« Frau Schick schaut demonstrativ die staubstille Dorfstraße hinauf und hinunter. »Der muss ja wirklich ständig betrunken gewesen sein. Ich werde wohl kaum über Kuhfladen und Schafsköttel stolpern.«
»Der Erro-Pass ist für Sie zu beschwerlich, und bergab gibt es ein paar Geröllhalden.« Herberger wirkt zunehmend ungeduldig.
»Dann fahren Sie mich irgendwohin, wo es sehr wild und flach ist. Und waldig, hören Sie. Ich will in den Wald. In einen richtigen, vernünftigen, urwüchsigen Wald.« So einen wie den in Masuren. »Aber so einen Wald gibt es wohl kein zweites Mal«, murmelt Frau Schick mehr für sich selbst. Sie schreckt hoch wie aus einem fernen Traum. »Ach verflucht, dann eben Pamplona! Alles andere ist ja doch nur Zeitverschwendung«, grantelt sie, aber ihr Zorn ist nur ein müdes Flämmchen, das in der eigenen Wachspfütze zu ertrinken droht.
Auch das noch! Dieser untröstliche, halbverhungerte Kinderausdruck auf Frau Schicks Gesicht ist kaum zu ertragen. Der brennt bis in die verstecktesten Winkel seiner Seele und ist von dort nicht zu vertreiben. Herberger dreht sich seufzend um und blinzelt zur Kirchturmuhr hoch. Viertel vor zehn.
Nun ja, das wäre zu schaffen. Mehr als eine halbe Stunde Fahrt ist es nicht bis zu einem kleinen Wunder abseits des Jakobsweges, das ihm vor mehr als dreißig Jahren besonders gutgetan hat. Und der wunderhübschen Baskin, deren Namen ihm entfallen ist, auch.
Ein melancholisches Lächeln stiehlt sich in seinen Bart. Vielleicht gelingt Basajun, Mari und dem schwarzen Ziegenbock ja das Kunststück, Frau Schick von ihrem Zorn zu befreien. Mit der Muttergottes hat sie es ja offensichtlich nicht so. Ob die Madonna von Burguete sich von dem Schock mit Frau Schick schon erholt hat?
»Steigen Sie ein, und schnallen Sie sich ganz fest an. Ich kenne da eine Gegend, die nach Ihrem Geschmack sein dürfte«, sagt er.
»Sie kennen vielleicht diese Gegend, aber wohl kaum meinen Geschmack!« Der Drache faucht schon wieder recht passabel.
»Geben Sie mir eine Chance. Wenn Sie Glück haben, treffen wir sogar einen Hirsch, ein Wildschwein oder einen Waldgeist. Der Selva de Irati ist der berühmteste baskische Hexenwald und der größte und am besten erhaltene Buchen- und Fichtenwald nach dem deutschen Schwarzwald.«
»Schwarzwald? Das ist doch alles Schnickschnack.«
»Sie wollten Wald, und Sie werden Wald bekommen«, bestimmt Herberger.
Frau Schick runzelt unschlüssig die Brauen, wie ein Kind, das sich zwischen
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