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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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Javiers letzte Worte, nachdem er sie hierher entführt hat. Und sie hat, träge und trunken von einem Dutzend Küssen im sehr warmen weichen Gras und mit Blick auf einen eisblauen See, der aussieht, als habe ihn der liebe Gott mal eben so in die Wälder gegossen, auf ihren Rucksack gedeutet, in dem sich die Autoschlüssel befanden. Javier hat das Hello-Kitty-Köfferchen herausgeholt, kurz gesucht und sich dann wohl entschlossen, alles mitgehen zu lassen. Sie hat nicht hingeschaut, weil just in diesem Moment ein Eisvogel wie ein fliegender Diamant in den See hinabstach und sie sich mitten im Paradies befand.
    Mit einem ausgemachten Teufel.
    Der ist seit einer gefühlten Ewigkeit verschwunden, und sie selbst hat sich innerhalb der letzten halben Stunde auf der Suche nach dem Parkplatz im Wald so gründlich verirrt, dass sie zermürbt von Panik, Wut und Scham über ihre grenzenlose Dummheit jetzt um ihr Leben bangt. Jedes noch so scheue Rascheln im Gebüsch lässt sie zusammenzucken, jeder Pfad, der im Nichts oder undurchdringlichen Dickicht endet, steigert ihre Angst. Äste peitschen gegen ihre Beine, unter ihren nackten Füßen spürt sie Dinge, die sie lieber keiner näheren Betrachtung unterziehen möchte. Sie drückt ihre Pumps und das Handy mit der linken Hand fest an ihre Brust, in ihrer rechten baumelt Hello Kitty.
    Ein durchdringendes, hohles Brüllen, Röcheln und Stöhnen wie aus Geisterkehlen durchzittert die meterhohen Wipfel, vervielfältigt sich zum Echo, flitzt wie eine Flipperkugel von Baumstamm zu Baumstamm, prallt ab und rast mit bedrohlicher Kraft genau auf sie zu.
    Nelly zerrt ihren Rock ohne Rücksicht auf Verluste hoch bis weit über die Knie, Stoff reißt. Sie rast und hüpft in die entgegengesetzte Richtung davon, schlägt Hasenhaken, zwängt sich durch Dornengebüsch, quert springend einen Wasserlauf, fällt auf die Knie, rappelt sich auf und taucht hinein ins nächste Buschwerk, das sie mit tausend Armen empfängt und nicht mehr loslassen will. Sie schlägt nach allen Seiten aus, wischt und fegt peitschendes Geäst beiseite, zwängt sich durch eine wildgewordene Hecke, die sich endlich und wie von Geisterhand lichtet.
    Nelly prallt zurück. Was zum Teufel ist das?
    Sie hat keine Zeit, eine Antwort zu finden. Im selben Moment purzelt sie kopfüber eine Böschung hinab. Wasser rauscht auf, und alles wird dunkel.

15.
    Kaum fünf Kilometer südöstlich von Espinal ahnt Frau Schick allmählich, was Herberger vorhin mit lebensgefährlichen Kurven gemeint hat. Die schmale Straße, die zurück in die baskischen Pyrenäenausläufer führt, ist ein einziges Schleudertrauma und ein Mordsvergnügen für einen Motorradkonvoi, der ihnen mit aufgeblendeten Scheinwerfern und freudentrunkenen Hupsignalen entgegendonnert, um sich dann kollektiv in die Kurve zu legen. Herberger grüßt lässig hupend zurück.
    Dass so etwas Spaß machen kann? Nun, es kann. Offensichtlich.
    Frau Schick klammert sich von hinten an Herbergers Sitz und legt sich wie ein Motorradsozius mit in die Kurven, damit der Chauffeur nichts falsch macht und der Jaguar in der Spur bleibt.
    Neben dichtem Laubwald flankiert ein Schilderwald die Asphaltachterbahn. Lauter schwarze Zickzacklinien und Ausrufungszeichen sind abgebildet. Man wird seekrank bei dem Geschlängel, auf und ab und hoch und runter. Endlich entscheidet sich die Straße für Kurven, die zwar haarnadelscharf nach links und rechts, aber wenigstens nicht mehr hoch und runter gehen.
    »Ist das wirklich der Jakobsweg?«, fragt sie erschüttert.
    »Nicht ganz. Wir sind jetzt im Aezko-Tal«, informiert Herberger von vorn, drosselt sanft das Tempo und biegt in einen gelben Schotterweg ein. Der Jaguar schaukelt auf einen feuchten Waldpfad zu, der sich in dunklem Grün verirrt und wie ein Eingang zu Grimms Märchenwald aussieht.
    Gar nicht schlecht, befindet Frau Schick mit Blick auf schwindelnd hohe Fichten, die wie Kathedraltürme gen Himmel wachsen und beleibte Buchen und zerzauste Eschen hochnäsig unter sich zurücklassen. Gespannt richtet sie sich im Sitz auf.
    Herberger bringt den Wagen zum Stehen, steigt aus und öffnet die Tür zum Fond. »Ich gebe Ihnen eine Dreiviertelstunde«, sagt er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet. »Sie folgen einfach dem Pfad. Er führt Sie in einem großzügigen Bogen zu einem Parkplatz in einem kleinen Weiler. Sie gehen weder links noch rechts, noch irgendeinem Wildschwein hinterher! Der Wald ist tiefer und weitläufiger, als man

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