Frau Schick räumt auf
meint.«
Frau Schick steigt aus. »Keine Sorge. Ich verfolge keine Schweine.«
»Wie beruhigend für die Schweine. Falls Sie sonst jemandem begegnen, seien Sie ausnahmsweise freundlich. Es könnte sich um Basajun handeln. Der mag es nicht, wenn man ihn ärgert oder anstarrt.«
»Basajun?«
»Der hiesige Waldgott. Er liebt Verkleidungen und Täuschungsmanöver und hasst alle, die ihm nicht huldvoll begegnen. Seine Gattin ist ein wenig gnädiger, sie führt nur Liebende in die Irre, um ihre Gefühle auf die Probe zu stellen. Ein sehr eifersüchtiges Weibsbild.«
»Ach, bleiben Sie mir weg mit diesem Unsinn! Ich glaube doch nicht an Gespenster.« Nicht mehr oder allenfalls ein winziges bisschen.
»Lassen Sie zur Sicherheit das Handy an«, empfiehlt Herberger. »Ich bin immer in Ihrer Nähe.«
»Und ich bin seit fast sechzig Jahren erwachsen.«
Herberger schweigt vernehmlich.
Frau Schick dreht sich um und beginnt ihren zweiten Spaziergang an diesem Tag.
Die Bäume sind zu Anfang licht gestaffelt. Den Boden deckt eine zarte Kräuterdecke, ihre Schritte federn. Nach wenigen Wegbiegungen aber umfangen sie kühles Halbdunkel und die ersehnte Stille. Diese ist weit dichter als vorhin, sie legt sich schützend wie ein Kutschermantel um ihr Herz und lässt es freudig aufschlagen.
Frau Schick schmiegt sich hinein und wandert im Takt mit sich selbst. Nichts denkt in ihr und drängt nach oben. Ihre Augen suchen den Weg, ihre Füße finden ihn von selbst. Das ist ihr Camino, sie spürt es genau.
Frau Schick geht und lauscht und schaut und geht und vergisst die Zeit, und die Zeit vergisst sie, bis sie tief im Wald angekommen ist. Wie wunderbar, da leuchtet lackrot ein Fliegenpilz auf grünem Moosbett. Dass es die hier noch gibt! Die Bäume tragen filigrane Gewänder aus Flechten und schmücken sich mit goldenen Schwämmen, die aus ihren narbigen Stämmen wachsen. Farnfächer winken. Gelegentlich knackt ein Zweig. Laub raschelt, und Frau Schick weiß, dass es die Tiere des Waldes sind, die vor ihr zurückweichen. Echte Natur drängt sich nicht auf, sie hat genug mit sich selbst zu tun.
Frau Schick wird so still, dass sie das Kratzen kleiner Krallen auf Rinde zu vernehmen meint. Eichkater, lächelt sie. Unsichtbar huscht ein Pelztier durchs Gebüsch, sein Fell dämpft das Knistern des Blattwerks, das es streift. Vielleicht ein Meister Reinecke auf Mäusepirsch.
Verschwiegene Lichtungen tun sich auf. Sonnenstrahlen tanzen im Grün und versinken in blauschwarzen Feentümpeln, aus denen morsches Gehölz ragt. Verrottende Baumdrachen und Wurzelungetüme recken krumme Gliedmaßen und Fratzen aus dem sumpfigen Wasser. Alles verlockt dazu, tiefer ins Dickicht einzutauchen, aber Frau Schick widersteht, getrieben von der Neugier, was hinter der nächsten Wegbiegung auf sie wartet.
Ach, die schönsten Orte sind doch die, die man nicht sucht, sondern die einen finden. Wiederfinden. Der Wald von Irati ist ein Stück Heimat, das sie seit jeher in sich trägt, aber Jahrzehnte ihres Lebens nicht mehr betreten hat. Oh ja, als Röschen hat sie solche Wälder geliebt und war nie einsam darin oder ängstlich. Sie war geborgen in der Welt.
Der Pfad schlängelt sich an einem Hügel vorbei, der mit braunem Laub und rostroten Fichtennadeln gepolstert ist. Der Wald lichtet sich wieder, und die Bäume werden jünger. Frau Schick ahnt, dass der Weg seinem Ende zustrebt, die relative Holzarmut dieses Abschnitts spricht eine deutliche Sprache. Hier wurde früher einmal kräftig gerodet, Feuerholz geschlagen und dann wieder aufgeforstet. Die Sonne schiebt in immer breiteren Streifen Lichtbahnen zwischen die Fichtenreihen.
Frau Schick umrundet den Hügel und entdeckt einen gurgelnden Bach, der über Felsstufen perlt und plätschert. Gelbe Sonnenröschen nisten im Stein. Als Rinnsal zerteilt der Bach den Weg zu ihren Füßen. Nicht weit von hier, aber deutlich abseits des Pfades, rauscht und lockt ein größerer Strom. Ob sie doch noch einen Umweg machen soll? Nein. Bis hierhin war es perfekt, noch besser kann es heute nicht werden, und wenn’s am schönsten ist, soll man bekanntlich Abschied nehmen.
Frau Schick geht auf ihre Wanderstöcke gestützt behutsam bei dem Wasserrinnsal in die Hocke, um einen Schmetterling zu begrüßen. Er rastet mit gefalteten Flügeln auf einem feuchten Stein und badet im Licht. Endlich entfaltet er die Flügel, klappt sie auf und zu, scheint einen Abflug zu erwägen. Die Flügel schillern blau wie Lapislazuli. Ein
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