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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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haben?
    Nun, die überwachsene Ruine ist in der Tat ein Augenschmaus für Kenner und eigentlich nicht zu übersehen. Genauso wenig wie die Warnschilder, die das Betreten der einsturzgefährdeten Anlage, insbesondere der Kanalmauern und Tunnel, verbieten. Aber dieser Trampel mit Bambi-Blick ist auf der Flucht vor röhrenden Hirschen einfach hineingepurzelt. Scheint ohnehin reichlich auf den Kopf gefallen zu sein, die Gute. Fragt die doch tatsächlich, ob das der Jakobsweg ist!
    »Alles ist hin«, stöhnt die Karikatur einer Geschäftsfrau auf dem Rücksitz unterbrochen von Kieksern und einem Schluckauf, der sich einer Mischung aus reichlich Weinbrand und zu viel Geschluchze verdankt. »Alles hin. Alles hin.«
    Ach du lieber Augustin! Herberger runzelt die Stirn. Nur gut, dass sie auf gar keinen Fall die Polizei verständigen will. Das wäre ja noch schöner! Eine Passkontrolle ist das Letzte, was er braucht. Auf jeden Fall muss er dieses Häufchen Elend so rasch und elegant wie möglich loswerden. Die Tour entwickelt sich sonst zu einer Lumpensammlerfahrt und sein eigentlicher Plan zu einem reinen Wohlfahrtsunternehmen. Als ob er nichts Wichtigeres zu tun hätte!
    Ärgerlich, höchst ärgerlich das Ganze, gerade jetzt wo Paolo langsam sein wahres Gesicht zeigt.
    Frau Schick thront hingegen hochzufrieden neben der Lumpennelly und bedenkt sie mit dem Blick einer stolzen Puppenmutti. Sie rupft ein Taschentuch nach dem nächsten aus einer Box, um Nellys Tränen zu trocknen und deren spitzes Gesicht bis zur Unkenntlichkeit mit zerlaufener Wimperntusche zu verschmieren.
    Am liebsten würde Herberger mit einem nassen Lappen drübergehen. Diese Nelly sieht aus wie ein geprügeltes Waisenkind, das aus einem Dickens-Roman ausgerissen ist. Aus Bleak House oder – ha! – Little Nell . Kaum zu ertragen.
    »Jetzt fahren wir erst einmal nach Pamplona, Kindchen, und da sehen wir weiter«, gurrt Frau Schick.
    »Ich, ich, ich«, hickst Nelly, »ich will nicht nach Pamplona. Nie mehr.«
    »Waren Sie denn mal da? Ich meine, kamen Sie heute von dort?«, forscht Frau Schick nach.
    »Neihein«, zittert der Waldschrat, »aus Bilbo …, Bilba …, Bille …«
    »Die Stadt heißt BIL-BA-O«, schreitet Herberger ein, bevor sie den schönen baskischen Namen noch zu Bullerbü verhunzt.
    Herrje, jetzt stellt sie die Sirene wieder auf Heulton!
    »Nicht in diesem Ton, Herberger«, rügt Frau Schick und rasselt mit den Wanderstöcken.
    Herberger schüttelt dezent, aber nachdrücklich den Kopf. Wie kann man jenseits der vierzig nur so peinlich sein? Und erst recht jenseits der siebzig! Da haben sich die zwei Richtigen gefunden.
    »Es wird alles wieder gut«, tröstet Puppenmutti Schick ihre neue allerbeste Freundin. »Es wird alles gut. Sie nehmen in Pamplona erst einmal ein Bad, schlafen sich schön aus, und dann sehen wir weiter. Das Hotel soll ein richtiger Traumpalast sein. Himmelbetten, alte Möbel, echte Gemälde.«
    Darf’s vielleicht auch noch ein Prinz als Betthupferl sein?, denkt Herberger entnervt. Die Vorstellung, dass Frau Schick dieses höchst verstörte, hysterische Frauenzimmer adoptieren will, behagt ihm gar nicht.
    »Wie hieß unser Hotel noch gleich, Herberger?«
    » Palacio Basajun« , knurrt er.
    »Was?«, schrillt es vom Rücksitz. Nelly hüpft fast gegen das Wagendach. »Da kann ich unmöglich hin. Ich kann da nicht schlafen, auf keinen Fall. Da habe ich ja eine Suite gebucht.«
    Logik ist eindeutig nicht die Stärke von Frau Nelly Brinkbäumer.
    »Alhambra«, stöhnt sie jetzt. »Bei Vollmond«, setzt sie mit einem erstickten Aufschrei nach. Und weil es so schön war, noch einmal: »VOLLMOND!«
    Jetzt wird es bedenklich.
    »Ach, Sie Arme. Das verstehe ich natürlich«, tröstet Frau Schick, die für Irre ein Händchen und ein Herz zu haben scheint. Sehr bemerkenswert für eine Frau, die von Bettina gestern noch behauptete: »Wie krank muss man sein, wenn man nur beschädigte Kreaturen ins Herz schließen kann? Die rettet ja sogar Hunde, die noch gar nicht entlaufen sind!«
    Jetzt klingt sie selber nicht anders als Bettina, nur noch sentimentaler und hilfsbereit bis zur Unverschämtheit. »Wir buchen Ihnen einfach ein anderes Zimmer, Kindchen. Ohne Vollmond. Am besten direkt neben meinem, da kann ich mich dann auch besser um Sie kümmern.«
    Woher dieser Anfall christlicher Barmherzigkeit?, fragt sich Herberger.
    »Ach bitte«, fleht das Objekt der Schick’schen Nächstenliebe, »können Sie mich nicht einfach nach Bilbao

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