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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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Hörner und Oboen folgen und dann leicht verhalten Cecilia Bertolis Kristallsopran, der im vierten Satz einen Koloratursprung zu meistern hat, den nur die Besten unbeschadet überstehen. Da muss man am Anfang mit dem Atem so exakt haushalten wie Reinhold Messner am Fuß des Nanga Parbat oder ein wagemutiger Geologe beim Abstieg in eine verschüttete Opalmine …
    » Exsultate, jubilate … – ›Jauchzet, jubelt, oh ihr glücklichen Seelen, singt süße Lieder‹, übersetzt Frau Schick die erste Strophe. Sie versinkt in Lederpolster und Musik und schaut und lauscht so ergriffen, als habe Mozart die Motette speziell für sie komponiert. In solchen Momenten muss man Frau Schick beinahe lieben, findet Herberger.
    Auch Frau Schick muss an Liebe denken, weil das Jubilate ein erklärtes Lieblingsstück ihrer Mutter war und Mozart ihr persönlicher Gott und Erlöser von allem Übel. Sie hat seine Musik und kistenweise Partituren aus Österreich nach Ostpreußen mitgebracht – und einen blattgoldverzierten Rokoko-Stuhl mit aufgeplatztem Polster. Darauf soll das Salzburger Wunderkind angeblich im Musiksaal eines ihrer Urahnen gesessen und mit den Beinen gebaumelt haben. In Wien. Da kam Frau Schicks Mutter schließlich her. Eine echte Komtess von Steinfelden, Butzi genannt.
    Butzi, eigentlich Elisabeth Therese Marie, hatte eine einzigartige Begabung: das Talent, in fast allen Lebenslagen glücklich zu sein. Als sie zum Beispiel Papas atemberaubend schöne Duesenberg-Limousine an einer Pöhlwitzer Stallwand zuschanden gefahren hat, ist sie einfach ausgestiegen und hat sich gefreut, dass wenigstens den Stockrosen von der Schemutat nichts passiert war. Und jeder, allen voran der sonst recht aufbrausende Papa, freute sich mit. Jeder Tag und jede Nacht waren für Butzi das, woraus man Träume macht. Sie nur anzusehen, das hieß bereits, dem Glück ins Gesicht zu schauen. Das galt, auch wenn die eigene Mutter für Röschen ein eher seltener Anblick war. So oft wie die Schemutat hat Röschen sie bei Weitem nicht zu Gesicht bekommen. Es war beim Adel nun mal nicht üblich, dass die Mutter übermäßig gluckte.
    Die Komtess von Steinfelden hatte nach vier Schwangerschaften und drei Geburten zudem einfach wieder richtig Lust aufs Leben bekommen und ist so oft wie möglich nach Berlin gefahren – wenn es ging mit dem Papa, dem Herrn von Gut Pöhlwitz, wenn nicht, dann ohne. Dann übernahmen die Braunen in Berlin das Kommando und schafften ab oder durchdrangen, was der Butzi Vergnügen bereitet hatte: Künstlercafés, wie sie sie aus Wien kannte, Jazzclubs, das Kabarett, das Kino und die aufregend neue Malerei. Auch vor der Klassik haben sie nicht haltgemacht und viel von dem verboten, was die Butzi mochte.
    Da ist Röschens Mutter schließlich lieber auf Pöhlwitz geblieben und hat selbst Musik gemacht, bis immer öfter jemand wegen ihres Ariernachweises nachgehakt hat, der auch von einer Komtess vorzulegen sei. Da hat sie sich lieber ins Bett gelegt und eine Migräne bekommen, die gar keine Migräne war, sondern ein stummes Warten auf den letzten Besuch.
    Butzi, das weiß Frau Schick aus den Erzählungen der alten Schemutat, hat als junges Mädchen auf Schloss Schönbrunn noch das Gehen nach spanischem Hofzeremoniell gelernt. Kerzengerade, im Korsett und mit einem Buch auf dem Kopf. Meistens waren es Klassiker. Molière und der gesammelte Nestroy waren ihr am liebsten. Und obwohl Butzi bisweilen lieber in den Büchern las, als sie auf dem Kopf zu balancieren, hat sie trotzdem gelernt, freihändig jede Treppe hinabzusteigen und demütigst zu knicksen, als sei das alles federleicht und ein Vergnügen. Das war noch zu Zeiten von Kaiser und König. Heiraten wollte sie aus dem alten Adel im damaligen Wien trotzdem keiner, weil ihr spielsüchtiger Großvater des Geldes wegen und um das morsche Stammschloss zu retten unter Stand geheiratet hatte. Bürgerlich, neureich, ungarisch, noch dazu jüdisch.
    Röschens eigenen Vater, den Freiherrn von Todden, hat der falsch verheiratete Großvater nicht gestört. Der Junker und Diplomat hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg, als der Adel nicht mehr glänzte, unsterblich in die blutjunge, glücksbegabte Komtess verliebt, die keine Bücher mehr auf dem Kopf tragen oder knicksen wollte, sondern leben. Und mit ihr hielten Mozart und Stühlchen auf Pöhlwitz Einzug.
    Ach, der Stuhl. Der hat wie alles andere ein trauriges Ende gefunden. Erst hat sich Röschens Mutter eines Tages einfach zum Sterben

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