Frau Schick räumt auf
ich schlage vor, dass ich mich ab sofort um Nelly Brinkbäumer kümmere. Ich bringe sie morgen nach Bilbao und setze sie in den ersten Flieger Richtung Düsseldorf.«
»Düsseldorf? Kommt überhaupt nicht in Frage. Das ist viel zu gefährlich! Ausgerechnet Düsseldorf! Da läuft sie dem Verbrecher doch direkt in die Arme.«
»Frau Schick, Sie sollten sich endlich einmal gründlich ausschlafen«, sagt Herberger streng.
»Eine hervorragende Idee«, lobt Bettina. »Das hilft immer. Vielleicht sind Sie ja einfach überanstrengt. Nach all den Erlebnissen der letzten Tage. Ich kann Ihnen auch gern ein leichtes Beruhigungsmittel spritzen.«
»Schnickschnack! Ich lasse doch Thekla … Nelly nicht allein«, empört sich Frau Schick. »Und jetzt holen Sie meine Einkäufe aus der Bar, Herberger!«
Herberger dreht sich fluchend um und geht zurück in den Rauchsalon.
»Einen Schritt schneller, wenn ich bitten darf. Sonst macht sich Hildegard noch über die Tüten her!«, ruft Frau Schick ihrem davoneilenden Chauffeur hinterher. Dass sie auch alles dreimal sagen muss!
»Frau Schick, niemand verfolgt Sie oder will Sie bestehlen«, sagt Bettina sanft. »Alle meinen es gut mit Ihnen.«
Was redet die denn da? Die ist nicht nur übertrieben beseelt, sondern völlig bekloppt, findet Frau Schick, sagt aber nichts. Sie hat auch noch kein Wort über Theklas Brief oder den Knicker fallen lassen, weil das Abendessen so nett war und sie erstaunlich hungrig. Das kommt sicherlich vom Wandern. Und als sie dann im Rauchsalon die betrunkene Nelly entdeckt hat, ging das erst mal vor.
Herberger kehrt mit drei Tüten und einem Karton zurück, der an eine Tortenverpackung erinnert.
»Öffnen«, befiehlt Frau Schick. Herberger gehorcht widerwillig.
»Ziehen Sie ihr Wandersocken und die neuen Schuhe an.«
»Ich?«
»Verlangen Sie etwa von einer müden, alten, gebrechlichen Greisin, sich so tief zu bücken?«, empört sich Frau Schick und findet diese eigene Rollenbeschreibung höchst amüsant. »Noch dazu ohne Stöcke!«
»Nein, das verlange ich keineswegs. Ich will nur, dass diese übermüdete gebrechliche alte Dame endlich Vernunft annimmt und sich sofort in ein Taxi zum Hotel setzt. Und zwar bevor sie sämtliche Spriteulen und Schluckspechte, die sich in Pamplona herumtreiben, in Dienst nimmt.« Er schaut demonstrativ in Richtung eines grölenden Bayerntrios, das in der Mitte der Plaza Mayor das Lied vom Bruder Jakob anstimmt und die Karussellpferde erklimmt.
»Sie halten mich wohl für verrückt«, schimpft Frau Schick. »Ich brauche Nelly! Sie muss die Bibel übersetzen.«
»Frau Schick, das hat Martin Luther bereits vor etwa fünfhundert Jahren getan.«
»Aber nicht aus dem Spanischen, Sie Dussel!«
»Frau Schick, wir sollten jetzt wirklich ins Hotel zurück und ins Bett«, mischt sich Bettina ein.
»Sie mit Ihren grünen Knickern halten sich da gefälligst raus!«
»Welche Knicker«, stammelt Bettina.
»Tun Sie nicht so ahnungslos! Mich ständig mit Gesprächen über Gott und Gebete zu belästigen und dann das Blaue vom Himmel runter zu lügen! Aber darüber unterhalten wir uns ein anderes Mal. Jetzt muss Nelly wieder auf die Füße kommen und ein paar Meter gehen. Herberger, die Schuhe! Das ist ein Befehl.«
Nellys Kopf fährt offensichtlich immer noch mit den Sternen Karussell, darum hat sie keine Kraft, sich zu wehren, als Herberger nach ihrem rechten Fuß und dann nach ihrem linken Fuß greift, um sie nacheinander in Wanderschuhe zu stecken.
»Echtes spanisches Leder«, lächelt Frau Schick. » Buen camino, liebe Nelly.«
Herberger schüttelt den Kopf. »Aber heute Abend nicht mehr. Frau Brinkbäumer befindet sich im Koma.«
»Still, sie will etwas sagen«, widerspricht Frau Schick und legt den Zeigefinger an die Lippen. Sie ist gespannt wie ein Flitzebogen, was ihr Findelkind mitzuteilen hat. Vielleicht handelt es sich ja um eine verschlüsselte Botschaft aus dem Jenseits? Würde sie nicht wundern, nein, das würde sie kein bisschen wundern nach allem, was der heutige Tag an Wundern für sie parat hatte!
Bettina beugt sich zu Nelly hinab. »Sie sagt, sie sucht den Mond.« Pause. »Über der Alhambra.«
Oh, das ist alles andere als gut. Nicht dass sie dort … »Wir müssen sofort hier weg. Mondlicht ist in ihrem Zustand bedenklich, sehr bedenklich«, scheucht Frau Schick Bettina beiseite. Die runzelt betroffen die Stirn, während ihre Augen bei Herberger nach Rat und Zuflucht suchen.
»Verrücktes Frauenzimmer«,
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