Frau Schick räumt auf
natürlich.
»Gehen geht immer«, befindet Frau Schick resolut. »Der Jakobsweg bewirkt Wunder. Glauben Sie mir.«
Frau Schick zieht ihr Gesicht zurück und lauscht Paolo, der jetzt eine Anekdote über den Puerto de Perdón und einen durstigen Pilger zum Besten gibt, den der Teufel vor der Passhöhe mit einer Zauberquelle in Versuchung führen will. Luzifer bietet dem verdurstenden Wanderer an, ihm die Wasserstelle zu zeigen, wenn er auf die weitere Wallfahrt verzichtet. Der Pilger lehnt standhaft ab, woraufhin ihm der heilige Santiago im Pilgergewand erscheint, um ihm Wasser in einer Jakobsmuschel anzubieten.
Frau Schick findet, dass der Geschichte eine schöne Pointe und etwas mehr Dämonenzauber fehlen. Der Teufel hat gewöhnlich mehr zu bieten als einen Schluck Wasser. Aber das kann ja noch werden, bislang hat ihr Jakobsweg sie in Sachen Wunder ja nicht schlecht versorgt. Im Gegenteil. Sie setzt sich auf dem sonnenwarmen Kunstsamt zurecht und schaut züchtig wie ein Kommunionskind zu Paolo. Er ist unterhaltsamer, wenn er Flöte spielt, aber sein Lächeln – wenn er denn mal lächelt – ist auch ganz nett.
Paolo schließt mit der Frage, ob seine Wanderschar in Pamplona wie empfohlen genug Wasser eingepackt hat.
Eine berechtigte Frage, denkt Frau Schick. Immerhin liegen rund einundzwanzig Wanderkilometer vor ihnen, von denen auch sie so viele wie möglich mitgehen will. Herberger fährt mit dem Jaguar vor und wartet an verschiedenen Wegstationen, falls sie zu müde ist, um weiterzulaufen. Oder Nelly!
Hildegard hievt eine Zwei-Liter-Flasche hoch und schwenkt sie triumphierend in Richtung Reiseführer. »Reicht das?« Scheint so, als wolle sie statt der Klassenlehrerin jetzt die Klassenstreberin geben.
Hermann und Martha sitzen händchenhaltend und versonnen wie immer auf der Rückbank. Ernst-Theodor und Hildegard haben Einzelsitze hintereinander gewählt. Die gemeinsam durchschnarchten Nächte im Doppelbett scheinen ihrem Wunsch nach Nähe vollends zu genügen.
Na ja, so war das bei ihr und Paulchen ja auch, denkt Frau Schick gnädig. Anders hält man fünfzig gemeinsame Jahre nicht durch, ob mit oder ohne Liebe. Die meisten jungen Leute haben da heute ja höchst unvernünftige Erwartungen und gehen sofort auseinander, wenn es mit der Romantik in der Ehe nicht mehr klappt. Romantik ist ja geradezu eine neue Religion. Immer nur verliebt und wie mit Pattex aneinander festgeklebt, das führt doch zur Verblödung! Da verpasst man ja glatt das eigene Leben und der andere auch.
Immerhin haben sie und Paulchen einander immer respektiert und auch das Bedürfnis nach Eigenleben. Sie haben ihre Persönlichkeiten nie dem Partnerlook geopfert, waren nie bis zur Unkenntlichkeit miteinander verheiratet, und eine Ehe nach dem feigen Motto »Hauptsache, nachts liegt einer neben mir und hustet« haben sie auch nicht geführt. Im Gegenteil.
Nein, langweilig war es nie. Immerhin haben sie zusammen etwas aufgebaut. Eine Menge sogar, und das aus dem Nichts, weil jeder an sich und beide aneinander geglaubt haben. Positiv betrachtet.
Und damit will Frau Schick es ab jetzt wieder ganz konsequent versuchen, so wie früher die Schemutat. »Für das Gewesene gibt der Deibel ja nuscht, min Röschen«, hat die immer gesagt. Genau: Zum Teufel mit der Vergangenheit! Mit knapp achtundsiebzig Jahren hat sie ein Recht darauf, sich so an ihr Leben zu erinnern, wie sie das möchte. Nämlich überwiegend positiv.
Ob heute wieder ein Brief von Thekla auf sie wartet? Was da wohl drinstehen könnte?
Na, eins nach dem anderen, sagt sich Frau Schick. »Et kütt, wie et kütt« und »Et hätt noch emmer jot jejange«, in diesen rheinischen Lebensweisheiten war sie sich mit Paulchen stets einig.
Frau Schick wendet sich Bettina zu. Ein bisschen Detektivarbeit kann jetzt nicht schaden. »Sie haben gestern so freundlich nach meinen Nachrichten aus Deutschland gefragt. Wollen Sie nicht mehr darüber wissen?«
Nicht dass sie ihr etwas verraten würde, aber vielleicht verrät sich Bettina ja endlich. Frau Schick hat nämlich beschlossen, es bei ihrer anhänglichen Reisebegleiterin ab jetzt mit Schopenhauer zu versuchen: »Wenn man argwöhnt, dass einer lügt, stelle man sich gläubig: Da wird er dreist, lügt stärker und ist entlarvt.«
Bettina schaut bereits ertappt, schüttelt aber nur den Kopf.
Zu ärgerlich! Sie hat doch Bettina extra auf den Sitz neben sich gelockt, um sie besser im Auge behalten zu können. Mit einem simplen, aber
Weitere Kostenlose Bücher