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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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Winter . Der Bartender ist überfragt, und Herberger grinst genüsslich. Das sieht Nelly im Barspiegel ganz genau.
    »Finden Sie, dass ein Mistkerl, der Sie im Wald vergisst und den Sie überdies nur einmal im Leben getroffen haben, zu viel Brandy und Vivaldi wert ist?«, fragt er.
    »Das geht Sie nichts an.«
    Von wegen: nur einmal getroffen! Sie hat Javier in ihrem Leben bestimmt ein halbes Dutzend Male getroffen – in leicht variierenden Modellen und unter anderen Namen. Jörg hatte sie jahrelang für den krönenden Abschluss ihrer Herzensdummheiten gehalten. Nun, weit gefehlt, ihr inneres Barbie-Land war keineswegs abgebrannt und erschreckend rosarot. Ein Paradies für kleinkriminelle Gigolos.
    Nelly schiebt sich die Sonnenbrille auf die Nase und ordert per Handzeichen den nächsten Brandy. Sich mit Sonnenbrille in einer dunklen Kaschemme zu betrinken ist in ihrem Alter zwar etwas albern und lange nicht so niedlich wie in Frühstück bei Tiffany , aber sie will sich beim ersten gezielten Komatrinken ihres Lebens nicht zusehen. Hinrichtungskandidaten verdienen eine Augenbinde.
    Herberger, das bleibt ihr nicht verborgen, tastet in seinem Jackett nach der Brieftasche. Will der ihr einen ausgeben? Immer zu! Aber wenn er meint, deshalb später mit ihr im Bett landen zu können, hat er sich gewaltig geschnitten. Ihr ist Sex schließlich so heilig, dass sie sich gar nicht mehr daran erinnern kann, wann sie das letzte Mal welchen hatte!
    Mit Javier jedenfalls nicht. Verdammt, das ist kein Grund zum Schluchzen!
    »Hören Sie, Frau Brinkbäumer, Sie sollten sich nicht so grämen. Das Ganze war einfach bedauerliches Pech. Da draußen rennen eine Menge kleine Scheißkerle und Trickbetrüger herum. Ich bin gerne bereit, Ihnen das Geld für den Rückflug nach Düsseldorf vorzustrecken.«
    Nelly schreckt hoch, schiebt die Brille wieder ins Haar und runzelt die Stirn. Mit leicht verzögerter Bewegung wendet sie ihm das Gesicht zu. Merkwürdig, wie das seine schwankt und der Barspiegel auch. »Warum denn das?«
    Herberger seufzt. »Ich habe meine Gründe.«
    Sehr gute. Frau Schick hat ihn nämlich nicht nur mit dem Kauf einer Bibel beauftragt, sondern die noch viel verrücktere Absicht geäußert, Nelly Brinkbäumer als eine Art Gesellschafterin und Übersetzerin für die weitere Reise zu engagieren.
    »Wissen Sie, Herberger«, hat Frau Schick gesagt, »das Mädchen ist zu stolz, um einfach so etwas Geld von mir anzunehmen, deshalb habe ich mir eine bezahlte Tätigkeit für sie überlegt. Ich werde ihr das heute Abend beim Essen mitteilen. Was meinen Sie?«
    Dass dies der bislang absurdeste Einfall einer an absurden Ideen nicht gerade armen, einsamen und viel zu reichen Dame ist, das denkt Herberger. Dieser Sekretär und Grüßaugust liegt mit seinen Befürchtungen bezüglich ihres Geisteszustandes anscheinend richtig. Frau Schick hat mehr als nur gelegentliche Aussetzer.
    Herbergers Blick trifft Nellys. Verdammt! Nellys Blick ist trotz Anzeichen erster Benebelung unangenehm scharf und misstrauisch. Könnte es sein, dass sie weniger unbedarft ist, als es ihr Waldausflug mit einem Casanova für Arme nahelegt? Dann wäre es umso dringender, sie rasch loszuwerden. Eine verrückte alte Dame und eine liebeskranke Schnapsdrossel sind wirklich zu viel des Guten. Schließlich hat er noch etwas vor.
    »Welche Gründe könnte es für Ihre Großzügigkeit schon geben?«, will Nelly wissen.
    »Nun«, improvisiert Herberger, »nennen wir es eine Art späte Wiedergutmachung. Ich war selber nicht immer der verlässlichste Kandidat in Sachen Liebe.« Und zeitweise ein gemeingefährlicher Trinker, der zu Riesendummheiten und gnadenloser Selbstüberschätzung neigte, aber das gehört jetzt wirklich nicht hierher. Herberger verzieht angewidert das Gesicht.
    »Sie lügen«, sagt Nelly knapp.
    Seltsam, das zu hören, wenn man zur Abwechslung einmal halbwegs aufrichtig ist und einen kurzen Blick auf den wahren Eckehart Gast gewährt, findet Herberger.
    »Oder haben Sie auch Frauen im Wald zurückgelassen?«, fragt Nelly mit einer Spur von Neugier nach.
    »So in etwa, wenn auch nicht in solch stilloser Art und Weise wie dieser – wie hieß er gleich?«
    Nelly schweigt. Der Name kommt ihr offenbar nie mehr über die Lippen.
    »Nun kommen Sie schon«, drängt Herberger und zieht erst Geldscheine, dann einen Kugelschreiber aus der Innentasche seines Jacketts. Er blättert fünf Hundert-Euro-Scheine auf den Tresen, dann klickt er die Kugelschreibermine

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