Frau Schick räumt auf
eine Schande, gerade dieses Abendessen zu schwänzen. Von überallher, sogar aus Pamplona, waren Gäste gekommen, und Señor Viabadel ist stolz wie ein König die Tischreihen abgeschritten, um die Ovationen für seine vorzüglichen Kreationen entgegenzunehmen. Hingesetzt hat er sich aber nur am Tisch ihrer Wandergruppe. Direkt neben Bettina. Wenigstens für die war es ein reizender Abend.
Frau Schick aber hat sich den ganzen Abend geärgert. Angestellte, die ihr grundlos kündigen und Sterne-Dinner schwänzen – nein, so etwas kann sie nicht durchgehen lassen. Darum hat sie gestern Abend bereits einen Frühstückstisch für sich, Nelly und Herberger reserviert, um den beiden gehörig die Leviten zu lesen und sie über ihre Pflichten aufzuklären.
Sie taucht in die Kühle der gefliesten Empfangshalle ein und muss sich kurz orientieren. Wo ging es nochmal zum Speisesaal? Ach, immer dem Kaffeeduft nach. Der kommt von rechts. Richtig, zwischen zwei Palmkübeln stehen Türflügel offen. Frau Schick passiert sie und tastet sich mit den Stöcken in den bedauernswert dunklen Raum vor. Es wäre sicher einfacher, hätte sie die Brille angezogen, aber sie mag das Monster nun mal nicht.
Langsam gewöhnen sich ihre Augen an das schummrige Licht. Einige Schlagläden sind noch geschlossen, aber an einem Buffet hantiert bereits ein junges Mädchen mit riesigen Schüsseln und Saftkrügen; eine Kaffeemaschine gurgelt. Da in der Ecke ist ihr Tisch, und da sitzt auch schon wer. Ein Mann, sicherlich Herberger.
Resolut marschiert Frau Schick auf ihn zu. Der Mann an ihrem Tisch dreht sich um, während sie näher kommt. Frau Schick runzelt die Stirn und bleibt vor ihm stehen, mustert ihn mit zusammengekniffenen Augen. »Wer sind Sie, und was machen Sie an meinem Tisch?«, empört sie sich.
Der Mann erhebt sich. »Ich bin Wolfhart Herberger. Wer sonst?«
»Sie sind doch nicht … Moment! Wo haben Sie denn Ihren Bart gelassen? Das sieht ja scheußlich aus so nackt. Absolut scheußlich!«
Herberger fasst sich mit der Hand unwillkürlich ans Kinn, fühlt die knotigen Narben, die mit Hautgewebe verwachsenen Knochensplitter, die kleinen Krater.
»Die Narben meine ich nicht«, zürnt Frau Schick ungeduldig. »Aber dieser Bart stand Ihnen so schön. So kenne ich Sie ja gar nicht wieder, Herr Doktor.«
Herberger überlegt kurz, dann nickt er bedächtig. »Genau genommen kennen Sie mich überhaupt nicht. Ich denke, ich kann mich Ihnen jetzt endlich vorstellen. Mein Name ist Eckehart Gast.« Er deutet mit dem Kopf eine kurze Verbeugung an.
Mit einem Schlag ist Frau Schick hellwach. »Ach, darum der Rasierpinsel!«
Herbergers Kopf zuckt zurück. »Welcher Rasierpinsel?«
»Ihrer, Sie Knallkopf. Der mit den Initialen E.G. Von perfekter Tarnung haben Sie wohl noch nie etwas gehört.«
Herberger stößt mit den Kniekehlen seinen Stuhl zurück, ein scheußlich kratzendes Geräusch von Holz auf Granit entsteht. Aber das Geräusch ist nichts im Vergleich zu dem scheußlich scharfen Ton seiner Stimme. »Sie haben mein Gepäck durchsucht? Was fällt Ihnen eigentlich ein? Für wen halten Sie sich?«
»Erstens habe ich Ihr Gepäck nicht durchsucht.« Dazu hatte sie nämlich gestern keine Gelegenheit, weil Herberger es selbst aus dem Jaguar ausgeladen hat, nachdem er ihr Nellys Koffer geklaut hatte. »Und zweitens halte ich mich für haargenau die Person, die ich bin, Rosalinde Schick, geborene von Todden. Sie scheinen sich in Bezug auf Ihre Identität hingegen weit weniger sicher zu sein. Wer bitte sind Sie, und was suchen Sie auf dem Jakobsweg?«
»Ich sagte bereits: Ich bin Eckehart Gast.«
»Und kein Doktor?«
»Doch, Doktor der Geologie, genauer gesagt sogar Dr. habil.«
»Ein Murmelprofessor«, schaltet Frau Schick blitzschnell.
»Mein Spezialgebiet waren einmal Mineralienfunde und Edelsteine, ja, aber mit Ihren sogenannten Knickern habe ich nichts zu tun. Ich spiele hier nicht den spirituellen Nikolaus, sondern allein Ihren Chauffeur.«
Der letzte Satz gefällt Frau Schick, er klingt, als sei die gestrige Kündigung vergessen. Das will sie erst einmal so stehen lassen. Sie deutet wortlos mit dem Finger auf den Stuhl neben Herberger. Er zieht ihn unter dem Tisch vor, bedeutet Frau Schick ebenso wortlos, Platz zu nehmen, und hilft ihr – ganz Kavalier – näher an den Tisch heranzurücken.
Das junge Mädchen erscheint mit zwei Kannen vom Buffet, setzt sie auf dem Tisch ab und dreht Frau Schicks Tasse um. »Café? Té?«
»Filtro«,
Weitere Kostenlose Bücher