Frau Schick räumt auf

ihrem Rucksack. Der Rucksack zwinkert ihr mit einem magisch funkelnden Auge zu. Wie? Ach nein, das ist ja … Sie bückt sich. Ein Stein.
    Nelly hält unwillkürlich den Atem an, während sie die Hand nach der Kugel ausstreckt. Behutsam hebt sie ihn mit Zeigefinger und Daumen auf, hält ihn ins orangerote Licht der letzten Sonnenstrahlen. Der dunkelgründige Stein leuchtet in allen Farben des Regenbogens. Nie, noch nie in ihrem Leben hat sie einen so betörend schönen Stein gesehen.
    Sie dreht ihn behutsam zwischen ihren Fingerkuppen und entdeckt eine winzig feine Gravur in Gold. Eigentlich ist der Stein viel zu schade dafür. Mit zusammengekniffenen Augen entziffert sie die Inschrift. » Omnia vincit … «, murmelt sie. Alles besiegt …
    Schritte lassen sie zusammenzucken. Rechts schält sich eine Gestalt aus dem Schatten eines Säulengangs.
    » Amor« , sagt Nelly mechanisch. Ihr Herz krampft sich zusammen. Ihr Gepäck ist zurück, jetzt fehlt nur noch …
    »Javier«, stößt sie hervor, als der Mann ins Licht tritt.

29.
    Nelly ist zutiefst enttäuscht. »Wo kommen Sie denn her?«
    »Vom Jakobsweg wie Sie. Ich wollte sichergehen, dass Sie Ihr verlorenes Gepäck wirklich erhalten. Frau Schick hatte es an sich genommen und anscheinend nicht vor …« Herbergers Blick fällt auf die Kugel in Nellys Hand. »Was haben Sie da?« Er entreißt Nelly den Stein, begutachtet ihn einige Sekunden, dann schließt er die Finger so fest über ihm, als wolle er ihn zerdrücken.
    »Wo haben Sie den her?«, fragt er mit so schneidender Stimme, dass Nelly zurückfährt.
    »Wo haben Sie ihn her?«, setzt Herbergers Stimme unbarmherzig nach.
    »Er lag auf meinem Rucksack. Ich weiß nicht, wie er … wie das alles hierhergekommen ist.«
    Herberger schüttelt verärgert den Kopf. »Ich hab Ihnen doch gerade gesagt, dass ich Ihnen das Gepäck gebracht habe. Es geht um den Stein.«
    »Woher haben Sie mein Gepäck?«, kontert Nelly scharf.
    »Irgendein Trottel hat es heute Nachmittag an der Rezeption abgegeben.«
    »Javier Tosantos?«
    »Nein, ein Taxifahrer.« Herberger macht eine wegwerfende Handbewegung. »Aber das ist unwichtig. Ein schwarzer Opal war nicht im Lieferumfang enthalten.«
    »Ein Opal? Ich dachte, es wäre ein Diamant. Der Stein sieht richtig kostbar aus.«
    »Opale sind richtig kostbar. Und absolut einzigartig.« Herberger öffnet zögernd die Hand und riskiert einen Blick auf die Kugel. »Die besten sind so teuer, dass ein Diamantenhändler bei den Preisen erblasst. Seltene Edelopale sind ein Hobby für Millionäre und Verrückte.«
    Nelly deutet eher entsetzt als erfreut auf den Stein. »Und dieser hier«, stammelt sie. »Wie kostbar ist der?«
    »Nicht so wild. Um die zweitausend Euro«, schätzt Herberger nach einem kurzen Blick. »Nein, eher weniger. Er wäre um die zweitausend wert, wenn nicht irgendein Narr ihn mit dieser Inschrift verdorben hätte. Omnia vincit amor . So ein verfluchter Unsinn! Zum Teufel, das ist ein Harlekin.«
    »Was?«
    »Der Stein«, erwidert Herberger unwirsch und hält die Kugel zwischen zwei Fingern ins Licht der untergehenden Sonne. »Sehen Sie das rautenförmige Gewandmuster des Farbenspiels? Daher der Name. Es ist eine begehrte Musterung, einzigartig wie bei jedem Opal.«
    »Er hat wundervolle Farben.«
    Herberger schüttelt den Kopf. »So kann man das nicht sagen. Edelopale selbst sind eigentlich farblos, schwarz oder braun, aber sie bestehen aus mikroskopisch kleinen Kieselgelkügelchen, die das Licht auf seinem Weg durch den Stein in alle Farben des Regenbogens zerlegen, immer wieder neu und immer wieder anders. Der Glanz jedes anderen Edelsteins muss durch Schliff und Polieren aufgepäppelt werden. Das Funkeln des Opals hingegen ist im Stein natürlich vorhanden. Es ist der Stein der tausend Lichter. Die Aborigines haben eine mystischere Erklärung für dieses physikalische Wunder. Sie glauben, dass einst in der Traumzeit der Schöpfer auf einem Regenbogen zur Erde hinabstieg, um seine Botschaft des Friedens zu verkünden, und dass überall dort, wo sein Fuß die Erde berührte, die Steine zu Opalen wurden.«
    Nelly seufzt. »Eine hübsche Legende.«
    Herberger schnaubt kurz. »Und eine falsche. Australiens Opale haben genauso viel Unfrieden, Verbrechen, Mord und Totschlag ausgelöst wie Südafrikas Diamanten. Die Dinger können süchtig machen.«
    Herberger rollt die Kugel gekonnt zwischen seinen Fingern. Immer neue Farben springen über den Stein, und auch Herbergers Augen