Frau Schick räumt auf
energisches Klopfen gibt Nelly Zeit zum Nachdenken. »Du, da ist jemand an der Tür«, sagt sie erleichtert über den Aufschub. Sie erhebt sich halb vom Bett und setzt sich wieder hin. Keine Ausflüchte mehr. »Um es kurz zu machen: Du hattest recht. Mit allem. Javier ist eine schleimige Nacktschnecke und der verlogenste Mistkerl, der mir in meinem Leben begegnet ist. Er hat mich in einen Wald gefahren, mich da sitzen lassen und ist mit dem Auto und meinem Gepäck verschwunden. Auf Nimmerwiedersehen. Ich bin also noch viel naiver und dümmer, als du je angenommen hast.«
Wieder klopft es.
»Nelly, du bist nicht naiv, sondern einfach bedauerlich begeisterungsfähig wie alle Träumer«, versichert Ricarda am Telefon.
»Also doch dumm.«
»Nein.«
»Doch.« Das zuzugeben ist immer noch besser, als zu erzählen, wie sie allein im Wald vor einem röhrenden Hirsch geflohen ist, denkt Nelly.
»So kommen wir nicht weiter.« Langsam wird Ricarda doch ein wenig ungeduldig. »Wo genau bist du jetzt? In Pamplona? Ich kann morgen da sein.«
»Nein, das will ich nicht. Außerdem bin ich in einem kleinen Dorf in Navarra. Also … um genau zu sein … Ich gehe den Jakobsweg.«
»Den Jakobsweg? Nelly, ich hoffe, du versuchst es jetzt nicht mit diesem Esoterikkram. Du brauchst jemanden, bei dem du dich vernünftig aussprechen und hemmungslos ausheulen kannst. Kein religiöses Erweckungserlebnis!«
»Verdammt noch mal, ich will mich nicht ausjammern! Ich habe in meinem Leben genug geheult. Mir ist nicht danach. Im Gegenteil: Ich habe seit Langem nicht mehr so herzhaft gelacht wie heute am Froschteich mit Jesus …«
»JESUS?«
Verflixt. Nelly könnte sich selbst in den Hintern treten. Immer wenn sie ins Schwärmen gerät, klingt sie wie ein aufgeregtes Kindergartenkind, das selbstverständlich davon ausgeht, dass alle Erwachsenen dieselben Informationen haben wie es selbst. »Pardon, das kannst du nicht wissen, ich meine natürlich Paolo. Wir waren heute an einem Froschteich …«
»Nelly! Wer ist Paolo? Und was faselst du dauernd über Frösche?«
Langsam und der Reihe nach, mahnt sich Nelly und holt tief Luft. »Paolo ist unser Wanderführer und sieht haargenau so aus, wie man sich Jesus Christus vorstellt. Er ist ein beeindruckender junger Mann und …«
Erneutes Klopfen.
»Wie jung und beeindruckend genau?«, hakt Ricarda nach. »Verdammt – wer klopft da dauernd an?«
»Niemand.«
»Ich hoffe, Herr Niemand heißt mit Vornamen nicht Paolo.«
» Silencio, por favor« , schreit Nelly in Richtung Tür und hört Schritte, die sich zögernd entfernen. »Ricarda, bitte, Paolo könnte mein Sohn sein!«
»Aha. Ein Sohn, der aussieht wie ein junger Gott und dich verführt hat, ihm quer durch Spanien hinterherzulaufen, nachdem Antonio Banderas dich beklaut und sitzengelassen hat. Lernst du denn nie was?«
»Jetzt halt aber mal die Luft an!« Nellys gute Vorsätze von vorhin sind verschwunden. Ricarda macht es einem aber auch echt schwer, sich mit ihr zu versöhnen. »Es ist alles ganz anders«, setzt sie neu an, »ich gehe den Jakobsweg im Auftrag einer alten Dame, die mich als Übersetzerin engagiert hat.«
»Übersetzerin? Wovon? Den neuesten Nachrichten des Heilands?«
»Nein, vom Matthäusevangelium«, rutscht es Nelly heraus. Mist, Mist, Mist!
»Nelly! Du steigerst dich. Erst witterst du hinter einem E-Mail-Betrüger einen Neruda-Liebhaber und millionenschweren Winzer, und jetzt siehst du in einem dahergelaufenen Wanderführer Jesus und dich selbst in göttlicher Mission. Findest du nicht, du solltest deiner Fantasie mal eine Atempause gönnen? Vor allem in Bezug auf Männer?«
Das ist genug. »Ricarda, es reicht!«, zischt Nelly in den Hörer. »Ich brauch das nicht mehr, hörst du? Ich brauche weder Männer noch Freundinnen, die nicht zuhören können und sich ständig in mein Leben einmischen, während sie an ihres niemanden heranlassen. Um es mit Matthäus 7, Vers 3 zu sagen: ›Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, bevor du den Splitter aus dem deines Bruders entfernst.‹ Und damit hasta la vista! «
Sie knallt den Hörer auf, schnappt sich ihren Zimmerschlüssel und marschiert zur Tür. Mit hocherhobenem Haupt reißt sie sie auf und ist von der glutroten Abendsonne geblendet. Sie kneift die Augen zusammen und knallt mit dem Knie gegen Metall. Was ist das denn?
Ihr Gepäck.
Ihr Gepäck?
Ihr Gepäck! Unverkennbar.
Hinkebein Salsa Fun lehnt verbeult und wackelig wie ein Betrunkener an
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