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Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)

Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)

Titel: Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Sprüche in uns aufgesogen. Jetzt wollte ich keine Wehen und kein Kind. Ich wollte brüllen.
    »Tun Sie doch was!«, rief ich und krallte mich an einer kühlenden Eisenstange fest. »Das ist nicht zum Aushalten!«
    »Alle Frauen haben das bis jetzt ausgehalten«, sagte die Hebamme freundlich. »Ich hole Ihnen was zur Entspannung!«
    »Nein, bleiben Sie hier«, schrie ich in höchster Verzweiflung. »Sie können mich doch nicht einfach so allein lassen!«
    »Ich komme ja wieder!«, sagte die Milde und verschwand.
    Ich krallte mich in die Stange und mit der anderen Hand in das feuchtgeschwitzte Laken und versuchte, mich auf das ruhige Atmen zu besinnen, das man uns eingepaukt hatte.
    »Tieef in den Bauch!«, sagte ich zu mir selbst, aber ich hatte keinen Sinn mehr für solche Kleinigkeiten.
    »Hier, nehmen Sie ein paar von den Kügelchen und lassen Sie sie unter der Zunge zergehen«, munterte mich die Hebamme auf. Ich schob mir die lächerlichen Liebesperlen in den Mund und glaubte kein bisschen an deren Wirkung. Aber weil ich nicht »Abrakadabra« dazu sagen musste, schluckte ich sie um des lieben Friedenswillen. Tante Lilli hätte auch gesagt, Kind, tu, was die Dame dir sagt und halt dich bescheiden im Hintergrund.
    »Möchten Sie noch einmal austreten?«
    Das war leichter gesagt als getan! Ich nahm nicht an, dass ich jemals wieder eine solche Verrichtung erledigen könnte. Außerdem irritierte mich die gestelzte Sprache der Dame in Grün. Austreten! Vielleicht würde sie mir noch fünfunddreißig Pfennig fürs Händewaschen abnehmen und ein damastenes Gästehandtuch reichen?! Zu zweit wankten wir schräg über den Gang zur Toilette. Die Tür ließ ich sperrangelweit offen, wie ein Kind im Kindergarten, aus Angst, ungesehen auf dem Klo zu verenden. Mit letzter Kraft ließ ich mir eiskaltes Wasser über die Arme und den Kopf laufen. Mein Spiegelbild zeigte mir völlig verzerrt ein rotes, fleckiges, leidendes Gesicht. So sieht eine Diva also aus, wenn sie stirbt. Nicht gerade zum Verlieben. Ich keuchte wie ein Walross. Kräuterweiblein! Zu Hülfe! Sonst bin ich verloren.
    Die Schwester nahm mich bei der Hand.
    »Wir haben ein heißes Bad für Sie vorbereitet«, sagte sie fröhlich, »das entspannt!«
    »Baden? Jetzt? Heiß?« jammerte ich fassungslos. Ich kann vor Schmerzen nicht stehen und die Folterknechte lassen heißes Badewasser ein?
    »Ja«, lächelte sie, die Unbeugsame, die sicherlich im Laufe ihrer Berufsjahre schon mit vielerlei Beschimpfungen überhäuft worden war, »je heißer, desto besser!«
    »Aber es sind 36 Grad draußen!«, sagte ich kraftlos, um mich sofort wieder an irgendetwas zu krallen und laut zu keuchen. Kind, sei nicht so theatralisch.
    Kurz darauf ließ man die Diva zu Wasser.
    Irgendwie mochte ich keinen Gefallen in der Wanne finden. Weder im Sitzen noch im Liegen oder Stehen, ganz anders als sonst, komisch. Die Schmerzen hämmerten unverdrossen weiter auf mich ein.
    »Wir haben Herrn Doktor Klett benachrichtigt«, sagte der Geburtshelfer, der inzwischen grüne Arbeitskleidung angelegt hatte. Anscheinend machte es ihm Freude, mir eins auszuwischen.
    Klaus Klett war zwar zufällig der Vater meines Kindes und ebenso zufällig Arzt an dieser Klinik. Aber ich hatte ihm ganz streng untersagt, sich im Kreißsaal blicken zu lassen, weil ich nicht wollte, dass er mich beim Gebären beobachtete.
    Irgendwie hatte ich geahnt, dass ich dabei vielleicht nicht so liebreizend aussehen könnte wie sonst immer, und der positive Eindruck, den er aus unerklärlichen Gründen von mir hatte, musste ja nicht einfach so aus Übermut zerstört werden.
    Klaus kannte und schätzte mich als, wie er fand, »gestandene« Sängerin, die durch bundesdeutsche Kleinstädte zog und sensationelle Debüts in verschiedenen Kirchen und Stadthallen ablieferte. Warum also sein Weltbild zerstören? Außerdem sah ich im schwarzen Abendkleid einfach souveräner aus als im weißen Gebärkittel. Schwarz macht schlank, deshalb.
    Nachher, wenn die Diva im reizenden rosa Stillnachthemd im Bett sitzen und der Öffentlichkeit Audienz gewähren würde, dürfe er gerne mit einigen Dutzend roter Rosen erscheinen, hatte ich ihm zum Abschied gesagt, vorher bitte nicht.
    Natürlich hielt sich der Herr Doktor mitnichten an meine Anweisungen. Gerade als ich mich schmerzvoll stöhnend in der Wanne wälzte, erschien er verschwitzt in der Kreißsaaltür, bewaffnet mit seiner verdammten Videokamera, einem Blumenstrauß und einer Flasche Sekt. Er

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