Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
schien die Szene hier eindeutig mit einem meiner üblichen Auftritte zu verwechseln.
»Wer hat dich reingelassen?«, schnauzte ich ihn an, musste mich aber unterbrechen, weil die Fruchtblase platzte.
»Hilfe, es kommt!«, japste ich, nicht ahnend, was es nun genau war. In solchen Situationen kann ja allerlei kommen, schon allein aus Panik. Ich weiß, wovon ich spreche. Kurz vor Konzerten ist der Drang am größten.
Klaus entledigte sich flugs seines Gepäcks und streifte einen dieser grünen Kittel über.
»Sie muss schleunigst raus«, ordnete er an. Ich hatte keine Ahnung, wie ich Hundertachtzigpfünder jemals ohne Flaschenzug aus dieser Wanne kommen sollte. Man hievte mich – zu viert – aufs Trockene. Die Hebamme reichte mir in aller Freundlichkeit ein Handtuch. Ideen hatte die!
»Es kommt doch gar nichts!«, sagte der Arzt, den ich zwei Stunden vorher so provokant behandelt hatte, schadenfroh. Ich trat vor Schmerzen ganz taub von einem Bein aufs Andere.
»Schrei ruhig«, sagte Klaus, ganz einfühlsamer Profi. »Lass den Schmerz doch zu!«
Ich war aber noch Frau’s genug, um an meine Stimmbänder zu denken.
Nee, nee, dann bin ich wochenlang heiser. Das kann ich mir nicht leisten! Tante Lilli sagte auch, Kind, schon deine Stimme, das nächste Requiem kommt bestimmt. Außerdem schreit man nicht so einfach, wenn man Wehen hat. Wenn das jede machen wollte.
Die Hebamme holte einen großen aufblasbaren Hüpfball. Es war einer von diesen Dingern mit Ohren, auf denen Kinder ihre Aggressionen austoben. Ich sollte mich an den Ohren festhalten und ganz entspannt meine Wehen verhüpfen, sagte die Müsli-Fee. Mir war irgendwie nicht danach, aber Tante Lilli sagte, Kind, tu, was man dir sagt. Wir meinen es hier alle nur gut mit dir. Nimm dich nicht so wichtig. Also hüpf schön bescheiden auf dem Ball rum und halt dich gut an den Ohren fest, damit du den netten Leuten hier keinen Ärger machst.
Klaus Klett fand diese Szene wohl putzig. Er baute sein Stativ auf und packte den Videokram aus.
Jeder Hopser bringt dich deinem Kind näher, sagte Frau Rheingarten-Schlotterkamp in mir.
»Ich will eine Rückenmarksspritze!«, schrie ich den Doktor an, und Klaus Klett guckte suchend durch die Linse. »Wenn du das filmst, bringe ich dich um!«, brüllte ich. Da kam auch schon die erste Presswehe.
Allgemeine Panik brach aus, schließlich hing ich noch auf dem Ohrenball.
Man begleitete mich auf das Kreißbett, wo man mich festschnallte, weil ich hysterisch um mich schlug und mich an den teuren Geräten festkrallte.
Klaus reichte mir die Hand zur Beruhigung, aber ich riss bleibende Kerben in seinen Unterarm. Wenn er schon mal hier war, konnte er mir auch beim Sterben behilflich sein.
Die zweite Presswehe überfraute mich. Ich hörte auf zu schreien und machte mich ein bisschen nützlich, indem ich mitpresste.
»Na bitte!«, jubelte die Hebamme. »Man sieht schon das Köpfchen! Es ist blond!«
Meine Unterseite spiegelte sich in des Doktors Brille. Es war frappierend. Da schob sich ein matschiges Köpfchen ans Tageslicht.
Gerade als ich verkünden wollte, dass ich nun in Ohnmacht fallen würde, machte es flutsch und ein verschmiertes Bündel krähendes Menschlein landete auf meinem Bauch, der sich augenblicklich in schrumpelige Falten zusammenzog. Ziemlich fassungslos streichelte ich auf dem Menschlein herum und stammelte wirres Zeug.
Klaus Klett schnappte sich seine Videokamera und legte auf uns an. Ich hatte keine Lust, ihm zu sagen, dass vorn an der Kamera noch die Klappe drauf war.
»Wollen Sie gar nicht wissen, was es ist?«, fragte der Arzt an meinem Fußende.
»Ach ja«, sagte ich, »was ist es denn?«
»Ein Junge«, sagte der Arzt.
»Ach was!«, sagte ich überrascht. Klaus lachte hinter seiner Kamera. Es war ein glückliches, stolzes Lachen. Wir nun wieder! Ein Junge! Wie haben wir das hingekriegt!
»Was hätten Sie denn gedacht, was es ist?«, fragte der Arzt, der mit Nadel und Faden herumhantierte.
»Ein Gummibärchen«, sagte ich und kicherte. Das tat aber weh, und so ließ ich die Albernheiten. Tante Lilli sagte, mit so was spaßt man nicht.
»Wie soll er denn heißen?«, fragte die naturverbundene Hebamme.
»Paul oder Willie oder so«, sagte ich.
Klaus lachte. »Ist das dein Ernst? Da hab ich wohl auch ein Wörtchen mitzureden! Schließlich bin ich der Vater!«
Der Doktor am Fußende grinste.
»Oder Ernst«, sinnierte ich. Obwohl ich im Grunde meines Herzens den Namen Ernst verabscheue. Er klingt
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