Frauen al dente. (German Edition)
Ober und zückte ihre Brieftasche.
»Der Cappuccino geht auf Rechnung des Hauses«, winkte er ab.
»Danke!« Marlen schlenderte die wenigen Meter hinüber zur U-Bahnstation. Ihre Wut war verraucht. Nach diesem Intermezzo fühlte sie sich sogar ausgesprochen erheitert. Im Vorbeigehen fiel ihr Blick auf eine Schaufensterauslage. Und da war es, das Ich-verwöhn-mich-Mitbringsel des heutigen Tages. Sieben Zentimeter hoch, dickbäuchig, mit schlankem Fuß. Ein schwarzer Saxophonist unter Glas. Ein absolutes Kleinod von Schneekugel. Marlen liebte Schneekugeln, seitdem sie denken konnte. Weit über hundert Stück hatte sie seither in allen Größen, Formen und Farben zusammengetragen. Von Dornröschen im Dornenschloß bis zur Maria von Lourdes warteten sie nun darauf, von ihr in regelmäßigen Abständen abgestaubt und geschüttelt zu werden. Und selbst die kleinen, bösartigen Nadelstiche ihrer beiden Mitbewohnerinnen hielten Marlen nicht davon ab, sich für immer wieder neue, ungewöhnliche Stücke zu begeistern.
»Mit einem Bein steckst du eben noch in den Kinderschuhen«, neckte Hella sie eines Abends, als Marlen in der Vorweihnachtszeit voller Stolz eine Kugel präsentierte, in der ein Weihnachtsmann auf seinem Rentierschlitten durch den Schnee raste. Mit Beleuchtung und Musik. Das gute Stück hatte einen halben Hunderter verschlungen, doch Marlens Freude fiel bei Hellas Worten wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Selbst die Erinnerung an diese Bemerkung ärgerte sie noch. Aber es käme einem Wunder gleich, wenn die supertüchtige, supererfolgreiche, stets korrekte und leider etwas spröde Hella auch nur einen Funken Verständnis für Marlens Tick zeigte.
Mit dem Saxophonisten in der Tasche eilte sie die U-Bahngänge entlang. Bald fünf Uhr, die Kosmetikerin wartete.
»Nur zwei Mark für die Obdachlosenzeitung, eine Mark für den Verkäufer«, nuschelte der Mann. Er war einer von der ordentlicheren Sorte, Marlen kannte ihn bereits. Sie fischte aus ihrer Manteltasche zwei Markstücke und gab sie dem Mann. Als er sich mit einem schiefen Lächeln bei ihr bedankte, blitzte für den Bruchteil von Sekunden eine Goldkrone in seinem Mund auf. Was trieb Menschen wie ihn auf die Straße? Was trieb immer mehr obdachlose Frauen auf die Straße? Wäre das nicht ein Superthema für
pleasure
? Doch sie verwarf diesen Gedanken rasch wieder.
»Frauen von heute sehnen sich nach positiver Lebenshilfe. Wer tagsüber Kinder, Haushalt und Beruf unter einen Hut bringen muß, dem steht abends nicht der Sinn nach den Problemen anderer. Wenn schon Probleme, dann gleich mit der Patentlösung für alle. Immerhin leben wir im Jahrzehnt des Superweibs.« Originalton Weigold anläßlich ihrer Einführungsrede bei
pleasure.
Und die Verkaufszahlen hatten ihr recht gegeben. Noch nie hatte eine neue Frauenzeitschrift sich derartig schnell auf dem Markt durchsetzen können. Merkwürdig nur, daß seit letztem Herbst die Abonnentenzahlen kontinuierlich sanken.
Das Kosmetikinstitut lag in einer winzigen Seitenstraße, ganz in der Nähe von Marlens Wohnung. Als sie den Laden betrat, erklang ein melodisches Windspiel, das in Marlen die Sehnsucht nach der Romantik lauschiger Mittelmeernächte weckte. In diese Töne hatte sie sich sofort bei ihrem ersten Besuch verliebt. Doch alle Versuche, es Nena Hiller, der Inhaberin des Instituts abzukaufen, waren gescheitert.
»Komme sofort, Frau Sommer. Machen Sie es sich schon einmal in Nummer zwei bequem.«
Behandlungsraum Nummer zwei lag zur Nordseite hinaus und war entsprechend kühl. Marlen schlüpfte aus ihrer Bluse und kuschelte sich rasch in die wollene Decke, die einladend über den Behandlungsstuhl gebreitet lag. Es duftete nach Mandarinen und Vanille, Nena war überzeugte Anhängerin der Aromatherapie. Marlen schloß die Augen, in der besten Absicht, sich zu entspannen.
»So ist es richtig, Frau Sommer. Einmal in Ruhe die Seele baumeln lassen, Ihre Haut wird es Ihnen danken.« Ein Schatten legte sich auf Marlens Gesicht, als Nena Hiller sich prüfend über sie beugte. Marlen schlug die Augen genau in dem Augenblick auf, als die Kosmetikerin bedenklich mit dem Kopf wackelte.
»Neue Unreinheiten auf der Stirn und seitlich am Haaransatz, typische Streßstellen«, murmelte sie.
»Streß? Das wundert mich aber, eigentlich läuft es bei mir im Augenblick ganz ruhig«, bemühte Marlen sich, zwischen ihrer Haut und der Kosmetikerin zu vermitteln. Doch letztere hörte ihr überhaupt nicht zu. Statt dessen
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