Frauen al dente. (German Edition)
kurzen Blick auf ihre Notizen. »Beim Radfahrertag in der Nähe von Münster. Der Staatssekretär eröffnete die Veranstaltung mit seiner Rede, dann radelte er die dreißig Kilometer bis zum Ziel mit. Eine höchst sportliche Angelegenheit also«, schloß sie süffisant.
Das Foto wanderte unter Gelächter und Häme weiter durch die Reihen.
»Hey, träumst du?« Kollege Pauly von der Redaktion ›Medizin‹ stieß Marlen den Ellenbogen in die Rippen. Marlen schreckte auf. Mit ihren Gedanken war sie bereits weit in der Zukunft gewesen. Sie, Marlen, war zur erfolgreichen Autorin von Liebesromanen avanciert. Oder sollten es besser Sachbücher sein? Einerlei. In jedem Fall gingen ihre Auflagen in die Millionen. Auch
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kam nicht umhin, ihren Erfolg zur Kenntnis zu nehmen. Unter der Regie der Weigold setzten die Kollegen dieser Runde sich mit der weltumspannenden Frage auseinander, wie
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dezent aber deutlich vermarkten konnte, daß die Megaseller-Autorin Marlen Sommer einmal das beste Pferd im Stall gewesen war. Der Kranach quoll der Schaum vor Ärger und Neid aus beiden Nüstern. Mit allergrößter Genugtuung gewährte Marlen
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ein Exklusivinterview zum Thema ›Mutter und Karriere‹. Gegen angemessenes Honorar, selbstverständlich.
Soweit ihre Gedanken. Doch das wahre Leben war eine Reality-Show. Daher verwunderte es Marlen nicht im geringsten, daß sie sich plötzlich Barbaras berückendem Rücken gegenübersah. Sie erkannte den wollweißen Hosenanzug, den ihre Freundin am Samstag getragen hatte. Sie erkannte die für Barbara so typische Aufreiß-Haltung. Ausfallschritt nach links, in den Hüften eingeknickt, das Becken sanft nach vorne geschoben. Barbara, wie sie leibte und liebte. Oder eben nicht liebte.
Nur noch Stunden trennten sie von einer echten Höllenfahrt. Ein Blick ihrer Ministeriumskollegen in die morgendliche Zeitung, und sie war enttarnt. Freigegeben zum behördeninternen Abschuß. Chef blieb Chef, ganz egal, ob er die Hosen offen oder geschlossen trug, in korrekter Höhe oder um die Knie schlabbernd. Die Schuld an dieser demütigenden Situation konnte nur die Frau tragen. Jeder ehrgeizige Reporter mit Fantasie witterte hinter dem Bild die Story: Sie, die kleine Zeitangestellte in seinem Ministerium, läßt sich von einem findigen Paparazzi als Lockvogel benutzen. Natürlich gegen Bares. Sie ist käuflich. Kollegen werden später bestätigen, daß sie sich stets besonders übertrieben zurechtgemacht hat. Sie wirkte ein wenig … man will ja wirklich nicht schlecht über die Frau reden …, aber sie wirkte beinahe ein wenig nuttig. Zu kurze Röcke, zu tiefe Ausschnitte. Kein Wunder, daß der Ärmste nicht widerstehen konnte. Er ist eben auch nur ein Mann. Hinter vorgehaltener Hand munkelt man, daß seine politischen Gegner eine Intrige gegen ihn ausgeheckt haben. Er gilt als aufrechter, konsequenter, daher aber auch unbequemer Mann. Mit einem bißchen Glück wird man ihn am Ende sogar zur Heiligsprechung vorschlagen.
Während Barbara bis in alle Ewigkeit das Kainsmal tragen wird.
»Soll ich dir 'ne Lupe holen?« lästerte der Kollege zur Linken, der schon seit geraumer Zeit darauf wartete, endlich auch einmal das kompromittierende Foto zu Gesicht zu bekommen.
»Für dieses Elend? Nein danke, mir ist schon schlecht.« Marlen reichte ihm die Aufnahme hinüber. »Ich brauche dringend frische Luft«, flüsterte sie ihm zu.
Bewußt ignorierte sie die unwilligen Blicke der Weigold, als sie ihren Stuhl zurückschob und sich langsam in Richtung Ausgang bewegte.
»Sag bloß, du bist schon wieder schwanger?« interpretierte der Kollege ihren Abgang auf seine Weise.
Marlen gönnte ihm nicht mehr als eine gequälte Grimasse. Bloß weg. Hier war Hopfen und Malz verloren.
»Wo ist sie?« schmetterte Marlen ihre Frage in den Raum. Sie hätte genausogut sagen können: »Hände hoch, oder ich schieße.« Die Reaktion wäre dieselbe gewesen. Köpfe fuhren nach oben, Spielzeug wurde fallengelassen.
»Meine Güte, hast du mich erschreckt!« Karin, die sich bei Marlens stürmischem Auftritt schützend über Lisa geworfen hatte, entspannte sich wieder.
Doch Marlen beachtete sie kaum. Ihre Blicke flitzten durch die Wohnung, in die Küche, die Diele. Nirgends eine Spur von Barbara. Statt dessen transzendendale Klänge und Myrrhe und Weihrauch, der aus sämtlichen Fugen ihres Zimmers quoll.
»Om!« erschallte es.
Marlen preßte das Ohr gegen die Tür. Klagte dort drinnen jemand über
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