Frauen al dente. (German Edition)
Schreibtisch. Unter den Mitarbeitern kursierten Wetten, wo sie die restlichen Akten, Artikel, Vorgänge, eben den ganzen ungeheuren Papierkram hortete, der zum täglichen Geschäft einer Zeitschriftenredaktion einfach dazugehörte. Doch bis heute war es noch niemandem gelungen, das Geheimnis zu lüften. Auch Versuche, Frau Schneider zu bestechen, scheiterten kläglich und wurden bald eingestellt. Sie nahm zwar mit Freuden alle Blumen und Pralinen entgegen, geizte aber mit der Gegenleistung. Genaugenommen blieb diese bei null.
»Ich habe nur wenig Zeit. Fassen Sie sich bitte kurz«, kam die Weigold ohne Umschweife zur Sache.
Marlen hatte noch nicht einmal Platz genommen. Doch sie ließ sich nicht irritieren. Mit wenigen Worten gab sie den Interviewinhalt wieder. Dabei verschwieg sie dezent, daß Barbara Koch, die Geliebte des Staatssekretärs, zufällig auch ihre Freundin war. Der Eindruck nach einem abgekarterten Spiel durfte gar nicht erst aufkommen.
»Hört sich nach einem handfesten Skandal an«, stellte Angelika Weigold nüchtern fest, nachdem Marlen geendet hatte. »Alle Welt munkelt, daß Maiersdorf demnächst den Minister im Amt beerbt. Nach diesem Interview würde es mich nicht wundern, wenn statt dessen sein Rücktritt fällig ist. Gute Arbeit, Marlen!«
Marlen nickte knapp, während die Weigold bereits zum Telefonhörer griff.
»Welchen Umfang hat der Text?« erkundigte sie sich bei Marlen.
»Ne' knappe Seite.«
»Machen Sie mir für die nächste Ausgabe eine Seite frei. Wie ist mir egal. Wenn es nicht anders geht, schmeißen sie ein paar Fotos raus. Werbung? Auf keinen Fall! Die bleibt drin. Davon leben wir«, gab die Weigold ihre Anweisungen an den Druck.
»Bitte bleiben Sie noch eine Minute sitzen, Marlen. Bei der Gelegenheit möchte ich mit Ihnen noch über Webers Nachfolge sprechen…«
Aha, jetzt kam die Mitteilung, daß die Kranach das Rennen gemacht hatte. Nebst den Verhaltensregeln für die Zukunft. Man erwartete, daß Marlen nicht nur eine faire Verliererin sein, sondern auch in Zukunft gut mit der neuen stellvertretenden Chefredakteurin Margarete Kranach zusammenarbeiten würde.
Bis zu dieser Sekunde hatte Marlen innerlich noch geschwankt, ob sie tatsächlich bei
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den Hut nehmen sollte. Wegen ihrer Angst vor dem Danach. Dem großen Fragezeichen. Wie würde es weitergehen, wovon sollten sie leben?
Doch jetzt reagierte sie blitzschnell. Mit dem Interview im Rücken konnte sie sich zumindest einen guten Abgang verschaffen. Bevor ihre Niederlage für die Kolleginnen ruchbar wurde.
»Ich muß auch mit Ihnen sprechen, Frau Weigold. Es tut mir leid, aber ich kündige zum nächstmöglichen Termin«, sagte sie schnell.
Die Augenbrauen der Weigold schössen in die Höhe. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und betrachtete Marlen lange zwischen zusammengekniffenen Lidern.
»Vermutlich hängt Ihre Entscheidung mit Ihrem Mündel zusammen? Oder gibt es Gründe, die bei
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liegen?«
Mißtrauen schwang in ihrer Stimme mit. Mitarbeiter, die im Zorn ausschieden, waren Gift für die Firma. Sie machten aus ihren Herzen keine Mördergruben. Insofern wurde selbst der harmloseste Mitarbeiter für die eigene Firma zur tickenden Zeitbombe, denn irgendwelcheGründe, um auf den Betrieb sauer zu sein, lauerten unterschwellig immer.
Marlen verstand die unausgesprochene Warnung. Ein negatives Wort über
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würde genügen, um die Maschinerie gegen sie in Gang zu setzen: Das schleichende Verleumden, gerne auch als Mobbing bezeichnet. Ein beliebter Arbeitgebertrick, den die damenhafte Frau Weigold bis zur Perfektion beherrschte. Ein winziger Funken übler Nachrede, getarnt als harmlose Bemerkung, genügte als Auslöser eines ganzen Steppenbrandes. Am Ende blieb von einem engagierten, kritikfähigen Mitarbeiter nur noch das Bild eines querulanten Nörglers übrig. Das Fallbeil für ihre berufliche Zukunft.
»Das Jugendamt meldet Zweifel an, ob mir bei meinem Full-Time-Job noch Zeit für Lisa bleibt. Ich möchte denen die Entscheidung erleichtern«, fabulierte Marlen. Die Weigold würde nicht nachfragen. Sie interessierte sich grundsätzlich nicht für die privaten Belange ihrer Mitarbeiter. Job war Job – es reichte, wenn man funktionierte.
Sie sollte recht behalten.
»Die Personalabteilung wird prüfen, zu welchem Termin Sie uns verlassen können. Bis dahin werden wir uns sicherlich noch sehen.« Die Weigold nickte knapp, dann wandte sie sich wieder
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