Frauen al dente. (German Edition)
Dann fuhr sie sich mit beiden Händen durchs Haar, um es anschließend glatt zu streichen. Mit dem angefeuchteten Zeigefinger bog sie die Wimpern nach oben, bevor sie sich mit dem Handrücken über die Lippen ruppelte.
Marlen riß der Geduldsfaden. »Wir nehmen auf Band auf, nicht fürs Fernsehen!« herrschte sie sie an.
»Ich brauch' das einfach zur mentalen Einstimmung«, verteidigte Barbara sich. »Okay, fangen wir an!«
Dies waren die letzten Worte von Barbara Koch, der ministerialen Karrierebiene. Nahtlos wuchs sie in die Rolle von Barbara Koch, der getäuschten und geschwängerten Unschuld, hinein.
Etwa zur gleichen Zeit schreckte Hella von der Lektüre ihrer Fachzeitschrift hoch. Diesmal hatte die Aufforderung ›die Nächste, bitte!‹ ihr gegolten. Gehorsam folgte sie der Röntgenassistentin in die schmale Umkleidekabine. Während sie sich aus Bluse und BH schälte, gratulierte sie sich dazu, nicht an Platzangst zu leiden. Und zu dem Entschluß, sich endlich einen Mammografie-Termin geben zu lassen. Aber bevor sie sich mit Lisa ein neues Leben aufbauen konnte, mußte sie ihre gesundheitlichen Probleme in den Griff bekommen. Vielleicht machte sie sich ja völlig umsonst verrückt? Bislang war sie immer vom Schlimmsten ausgegangen, was an ihrem eher pessimistischen Naturell liegen mochte. Vielleicht stellte sich bei der Mammografie der angebliche Knoten als harmlose Gewebeverdickung heraus? In jedem Fall war sie es Lisa schuldig, sobald wie möglich Klarheit zu schaffen.
Die Radiologin Dr. Deschner entpuppte sich als couragierte Mittvierzigerin mit strähnigem, halblangem Pagenkopf. Ganz der Typ vergeistigte Wissenschaftlerin, die es jedoch fabelhaft verstand, sich in Hellas Gemütszustand hineinzufühlen.
»Wenn Sie sich angezogen haben, warten Sie bitte noch einen Moment im Wartezimmer. Ich werde mir die Aufnahmen sofort ansehen. Wir können dann in Ruhe darüber reden«, sagte sie.
Die Praxis war durchgehend geöffnet, doch zu dieser Stunde wartete niemand außer Hella im Warteraum. Nervös blickte Hella zu ihr auf, als die Ärztin eintrat. Diese Frau hielt das Urteil über Tod oder Leben in ihren Händen. Oder doch beinahe. Welches Urteil würde sie über sie fällen?
»Es tut mir leid, Frau Merten. Aber ihre linke Brust zeigt einen deutlichen Knoten, direkt neben der Brustwarze. Um sicher zu gehen, sollten sie sich sofort einen Termin im Krankenhaus geben lassen … Ist Ihnen nicht gut, Frau Merten?«
Hella japste nach Luft. Ihr Kreislauf klappte in sich zusammen. Schwarze Punkte wirbelten vor ihren Augen. Doch sie fiel nicht in Ohnmacht. Sie kämpfte sich wieder heraus. Warum mußte ausgerechnet ihr das passieren? Es war zutiefst ungerecht. Doch ihre Entscheidung stand: Nun kam alles auf Lisa an.
Kapitel 19
›Make-up aus der Gruft‹ nannte sich der neueste Kosmetiklook aus Paris. Nach einer Nacht am PC war Marlen unter die Trendsetterinnnen gegangen. Die Augen leuchtend rot und tränend, dazu noch die Restschwellung von der Nektarinenallergie und ein durchscheinend blasser Teint. Vampirella ließ grüßen. Erneut ein Fall für die Sonnenbrille.
Dementsprechend mißtrauisch reagierte Frau Schneider, der Zerberus im Vorzimmer der Weigold, bei Marlens Erscheinen. Angelika Weigold dürfe derzeit nicht gestört werden.
»Da irren Sie sich«, entgegnete Marlen, ohne mit der Wimper zu zucken. »In dieser Mappe halte ich ein Exklusivinterview mit der Geliebten des Staatssekretärs Maiersdorf. Es enthält eine kleine Sensation. Wenn
pleasure
die noch in der nächsten Ausgabe bringt, werden die Auflagenzahlen sich glatt verdoppeln. Sie wollen dies doch nicht etwa verhindern?«
Frau Schneider arbeitete lang genug bei
pleasure,
um sie alle zu kennen. Die Ernsthaften und Seriösen, aber auch die Windmacher und Wichtigtuer. Marlen gehörte mit Sicherheit nicht zu den letzteren, daher griff sie nun zum Telefonhörer.
»Frau Sommer mit einer Sensation, wie sie sagt«, meldete sie ihrer Vorgesetzten. Mit ausdruckslosem Gesichtsausdruck lauschte sie in den Hörer.
»Sie sollen reinkommen«, verkündete sie dann und wies mit dem Kopf die Richtung.
Frau Angelika Weigold saß hinter ihrem Schreibtisch. Man hätte auch sagen können, sie präsidierte hinter ihrem Schreibtisch, auf dem nicht mehr als eine einzelneaufgeschlagene Mappe lag. Weiß der Teufel, wie sie das schaffte. Während bei den männlichen Chefredakteuren, die Marlen kannte, Chaosbüros zur Imagepflege gehörten, pflegte sie den leeren
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