Frauen, die Geschichte machten
Begleitung seines älteren Bruders Ernst, was aus Gründen der Schicklichkeit geraten erschien, damit sich ein
bisschen bemänteln ließ, um was es eigentlich ging. Ganz zu verheimlichen war der Zweck des Besuchs ohnedies nicht, und das
war auch gar nicht mehr nötig.
|197| Albert hatte sich in den Augen Viktorias nämlich keineswegs zu seinem Nachteil verändert, sondern war im Gegenteil ein stattlicher,
ja gut aussehender junger Mann geworden. In Viktorias Bericht über die Besichtigung des Bewerbers hieß es: »Sein Haar ist
von ungefähr der gleichen Farbe wie meines. Seine Augen sind groß und blau, und er hat eine wunderschöne Nase und einen süßen
Mund mit herrlichen Zähnen.« Die äußere Prüfung bestand Albert also glänzend, die menschliche auch, mit der kleinen Einschränkung,
dass er als Frühaufsteher und fleißiger Mensch Nachtschwärmereien und ausufernden Bällen wenig abzugewinnen vermochte. Andererseits
fiel positiv auf, dass er seine frühere Schüchternheit abgelegt hatte und mit ruhigem, überlegtem Auftreten überzeugte. Und
so konnte er es mit Fassung tragen, dass nicht ihm als Mann, sondern ihr als Königin der Heiratsantrag überlassen blieb.
Seine Geduld wurde nicht sonderlich strapaziert: Im Oktober 1839 angereist, stand er bereits am 10. Februar 1840 vor dem Traualtar
in der Kapelle des St. James-Palastes. In ihrer Verliebtheit hatte Viktoria die Hürde des Antrags mit Bravour genommen und
seine Einwilligung erhalten, die zunächst vielleicht nicht so sehr auf Gegenliebe beruhte als vielmehr auf Erwägungen der
hohen Ehre und der adligen Pflicht. Dass ihm Viktorias Neigung und die Aussicht auf eine treue, ja ergebene Ehefrau zusagte,
darf angenommen werden. Und auch als Frau gefiel sie ihm zunehmend besser. Neun Kinder aus der über zwanzig Jahre währenden
Ehe sprechen eine deutliche Sprache, zumal Viktoria für Babys eigentlich keine besondere Leidenschaft hegte und Schwangerschaften
als höchst lästig empfand, von den Geburtswehen gar nicht zu reden. Gerade die große Kinderschar aber sollte zu ihrem kostbarsten
Herrschaftskapital werden, kurz- wie langfristig betrachtet.
Zunächst einmal signalisierte sie nach außen hin ein überaus glückliches Familienleben, das die Royals äußerst populär machte.
Dass das nicht bloß Propaganda war, sondern tatsächlich rundum glückte, lag auch daran, dass sich beide Ehepartner nichts
sehnlicher als eine intakte Familie gewünscht hatten. Wie Viktoria auf den Vater hatte Verzicht leisten müssen, so war Albert
ohne Mutter aufgewachsen, denn sein Vater Ernst, ein Schürzenjäger par excellence, hatte sie wegen einer Affäre ihrerseits
verstoßen. Um so intensiver kümmerte sich Albert nun um seine Kinder und fand sein größtes Vergnügen darin, mit ihnen zu spielen
und herumzutollen. Die Ferien auf Schloss Balmoral im schottischen Hochland waren seit Mitte der 1850er-Jahre Höhepunkte der
Familienidylle. Mit dem Heranwachsen der Kleinen aber wuchsen auch in der First Family die Sorgen. Zwar glückte für Vicky,
die älteste und liebste Tochter Viktorias, 1858 die Wunschhochzeit mit dem preußischen Kronprinzen Friedrich (»Fritz«), doch
Viktorias eigener Kronprinz Albert Edward (»Bertie«) bereitete ihr immer neues Kopfzerbrechen. Er war faul, geistig träge
und vergnügungssüchtig.
|198| Insgesamt aber – und das war für die Königin das Wichtigste – wertete die große Familie ihren Ehemann Albert nachhaltig auf,
der es anfangs alles andere als leicht hatte. Als Erstes kürzte das Parlament dem von der Bevölkerung argwöhnisch betrachteten
Deutschen die ausgehandelte Apanage von 50 000 auf 30 000 Pfund. Dann verweigerte es ihm den Titel Prinzgemahl (
Prince Consort
) und zwang ihm einen Hofstaat auf, auf dessen Auswahl er kaum Einfluss nehmen konnte. Es fügte sich dann zwar so, dass sich
zwischen dem bestellten Privatsekretär George Anson und Albert eine Freundschaft entwickelte, doch die anfängliche Zurücksetzung
blieb unvergessen. Und schließlich war da noch Lord Melbourne, zunächst noch als Regierungschef und danach immerhin als Freund
Viktorias. Die eheliche Liebe aber siegte letztlich, und Albert rückte auch unter den Beratern der Königin an die erste Stelle.
In allem, was nicht die Amtsgeschäfte anging, ordnete sich Viktoria ihrem Albert völlig unter. Indirekt hatte er damit doch
erheblichen politischen Einfluss, der noch wuchs aufgrund der
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