Frauen, die Geschichte machten
abgetaucht? Belege für ein Verhältnis
zwischen den beiden gab und gibt es nicht.
Mit der Zurückgezogenheit war es nun jedoch vorbei, und auch als Gladstone erneut die Regierungsgeschäfte übernahm, versank
Viktoria nicht wieder in Apathie. Sie ließ sich regelmäßig vortragen, nahm ihre Repräsentationspflichten wahr und entwickelte
durchaus eigene politische Vorstellungen. Sie war sogar sozialen Fragen gegenüber jetzt aufgeschlossener als früher, sperrte
sich aber weiter gegen alles, was nach ihrer Meinung die verderbliche Frauenemanzipation fördern könnte. Sie vermochte nicht
einzusehen, was an einem |200| weiblichen Arzt oder einer Frau Professorin erstrebenswert sein sollte. Im Streben der Frauen nach Gleichstellung sah Viktoria
vielmehr eine große Gefahr für das, was ihr heilig war und was sie als genuin weiblichen Auftrag ansah: Ehe und Familie.
Darum kümmerte sie sich weiterhin verstärkt: Sie widmete sich intensiv ihrer inzwischen über ganz Europa verstreuten Nachkommenschaft.
Ihre neun Kinder, die in alle wichtigen Dynastien der Alten Welt eingeheiratet hatten, bescherten ihr 29 Enkel, zu denen Viktoria
teilweise innigere Bindungen entwickelte als zu den meisten ihrer Kinder. Als sprichwörtliche »Großmutter Europas« stand sie
dem riesigen Clan vor, wurde von allen geachtet, von vielen sogar verehrt und von den schwarzen Schafen wegen ihrer vernichtenden
Kritik gefürchtet. Ihr goldenes Thronjubiläum 1887 und vollends ihr diamantenes zehn Jahre darauf wurden zu triumphalen Feierlichkeiten
für die Queen, vor der sich der ganze Kontinent und die halbe Welt verneigten. Dann schwanden zwar bald ihre Kräfte, doch
ihrer Autorität tat das keinen Abbruch.
Am 13. Januar 1901 erfuhr Kaiser Wilhelm II. in Berlin davon, dass es der Großmutter gar nicht gut gehe. Hals über Kopf, mitten
in den letzten Vorbereitungen zum 200. Jahrestag des Königreichs Preußen (18. 1.), dessen Feiern dann überhaupt abgesagt wurden,
reiste Wilhelm nach England ab. Nichts war vorbereitet, sodass der hohe Herr mit normaler Bahn fahren und die gewöhnliche
Fähre nach Dover nehmen musste. Erst in London gab es großen Bahnhof und einen Sonderzug nach Portsmouth. Gerade noch rechtzeitig
erreichte der Kaiser die Insel im Ärmelkanal und das von Albert für seine Queen erbaute Schloss Osborne, um sich von der geliebten
Grandma zu verabschieden, deren Tod eine ganze Nation in tiefe Trauer stürzte.
Allein schon die Dauer von Viktorias Herrschaft hatte sie zum Symbol einer Ära der Prosperität und Stabilität – obschon nur
der oberen Zehntausend – gemacht. Dieser Nimbus steigerte sich im Rückblick noch durch die heraufziehende Friedlosigkeit des
neuen Jahrhunderts und verklärte ihre Regentschaft zum Viktorianischen Zeitalter.
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|201|
Bertha von Suttner
„Die Waffen nieder!“
|202| Wer Bertha von Suttner im Alter von 65 Jahren sah, der konnte sich augenzwinkernden Spott mit Bezug auf die 42-Zentimeter-Haubitze
– genannt die »Dicke Berta« – kaum verkneifen. Die gewichtige Matrone Bertha von Suttner wirkte wie das leibhaftige pazifistische
Gegenstück zur großkalibrigen Kanone, nicht nur vom äußeren Format her, sondern auch, was die Direktheit und Schlagkraft ihrer
Argumente anging. Seit sie vor zwei Jahrzehnten den Roman »Die Waffen nieder!« geschrieben hatte, versuchte sie sozusagen
im Wege des Dauerfeuers mit dieser Parole den Frieden um jeden Preis zu bewahren und Mitstreiter für dieses Ziel zu gewinnen.
Dass die »Friedensbertha«, so nannte sie sich zuweilen selbst mit einer Prise Ironie, letztlich den Kampf gegen die Waffen
verlor, erlebte sie nicht mehr. Bertha von Suttner starb 71-jährig am 21. Juni 1914 in Wien, eine Woche vor dem Attentat von
Sarajewo auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand, das am 28. Juni 1914 den Ersten Weltkrieg heraufbeschwor.
Der Baronin Bertha von Suttner schien ein ganz anderer Weg vorgezeichnet, denn zumindest väterlicherseits war sie von Adel
und damit eigentlich für einen anderen Lebensstil bestimmt. Eigentlich, denn tatsächlich »von Stand« war man seinerzeit nur,
wenn auch die Mutter adlig war. Deren Herkunft aber lenkte die Biographie der gebürtigen Gräfin in die unvorhergesehene Richtung.
Bertha Sophia Felicita kam am 9. Juni 1843 in Prag zur Welt, als ihr Vater Franz Joseph Graf Kinsky von Chinic und Tettau,
pensionierter Feldmarschallleutnant und »Wirklicher
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