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Frauen, die Geschichte machten

Titel: Frauen, die Geschichte machten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Barth
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allerdings schon 65 Jahre alt und konnte auf
     Prinzen ebenfalls nicht mehr hoffen. Als er am erwähnten Junimorgen 1837 die Augen für immer schloss, klopfte es daraufhin
     an Viktorias Schlafgemach im Kensington Palast. Eintraten der Erzbischof von Canterbury und einige Lords, die dem verwirrten
     jungen Mädchen im Morgenmantel eröffneten, dass es nun Königin sei.
    Obwohl spätestens 1825 festgestanden hatte, dass alles auf sie hindeutete, waren Viktoria und ihre Mutter – der Vater war
     1820 gestorben – finanziell recht kurz gehalten worden. Und auch die Ausbildung des Mädchens hatte nicht eben königlichen
     Zuschnitt. Nur die »moralische« Kontrolle hatte hohe Priorität, denn vor allem die Mutter sorgte dafür, dass das Kind keine
     unbeobachteten Schritte machen konnte und nicht etwa mit »unschicklichen« Gefährten Umgang pflegte. Schon die gute Beziehung
     Viktorias zu ihrer deutschen Gouvernante Baronin Lehzen weckte mütterlichen Argwohn, dem ein gerüttelt Maß Eifersucht beigemischt
     war, denn Louise, so nannte Viktoria die Vertraute in privaten Momenten, spielte fast die Rolle einer Ersatzmutter für die
     von ihr als abweisend empfundene leibliche Mutter. Diese kam ihrer Tochter auch dadurch nicht näher, dass sie darauf bestand,
     mit ihr das Schlafzimmer zu teilen, wohl eher im Gegenteil.
    Nun rückte sie noch weiter an den Rand, denn die Aufgaben der frisch gebackenen Königin erforderten andere Führung, die natürlich
     auch nicht von der »liebsten Mutter Lehzen« zu leisten war. Jetzt kam Viktoria das gute Verhältnis zu ihrem Onkel Leopold
     zugute, der inzwischen (1831) König des neu |196| geschaffenen Staates Belgien geworden war. In ausführlicher Korrespondenz unterwies er die Nichte in allen Amtsdingen und
     stellte ihr auch Berater zur Verfügung. Leopold war der Bruder der Mutter, und er war Ehemann der Cousine Charlotte gewesen,
     deren Tod Viktoria die Thronfolge verdankte. Doch auch dieser Onkel hatte nur vorübergehend eine Mentorenrolle übernommen,
     denn dann trat ein Mann auf den Plan, der für die ersten Jahre der Amtsführung Viktorias zur Schlüsselfigur wurde: Lord Melbourne,
     seit 1835 Premierminister, Namenspatron der australischen Metropole.
    Der 58-Jährige wurde ein väterlicher Freund der jungen Queen. Manche unterstellten sogar mehr und sprachen von Viktoria provokant
     als »Mrs. Melbourne«. Die Spötter hatten nur insofern recht, als Viktoria lebenslang Anlehnung an Männer mit starker Persönlichkeit
     suchte, vielleicht weil sie nie einen Vater gehabt hatte, aber wohl auch aus der Erkenntnis heraus, dass sie es als Frau in
     der Politik besonders schwer hatte und dass ihre intellektuelle Erziehung für die große Rolle nur bedingt taugte. Ihre Eigeneinschätzung,
     niedergelegt in ihrem Journal, das sie seit dem 13. Lebensjahr führte, hörte sich dazu so an: »Ich bin sehr jung und vielleicht
     in vielen Dingen, wenn auch nicht in allen, unerfahren; ich bin aber sicher, dass nur wenige Menschen mehr wirklich guten
     Willen und mehr wirkliche Sehnsucht haben, das Angemessene und Richtige zu tun.« Was das war, vermochte sie ohne Hilfe nicht
     in jedem Fall einzuschätzen, aber sie war so klug, guten Rat zu suchen und anzunehmen. Und das Glück wollte es, dass sie sich
     gerade rechtzeitig einen kompetenten Ratgeber ins Haus geholt hatte, ehe Lord Melbourne 1841 als Premier abgelöst wurde.
    »Ins Haus« ist wörtlich gemeint. Auf ihre Initiative allerdings war das nur bedingt zurückzuführen. Hier wirkte politischer
     Druck: Das Parlament sorgte sich wieder einmal um den Fortbestand der Monarchie, weil es außer einigen alten Onkeln der Königin
     immer noch keine Thronfolger gab. Und dass junge Frauen sterben können, hatte man ja erlebt. Auch Viktoria war das bewusst,
     und sie sperrte sich nur kurz gegen das Ansinnen, möglichst bald einen geeigneten Ehemann zu wählen. Dass sie schnell anderen
     Sinnes wurde, hatte den Grund darin, dass unter den möglichen Kandidaten einer war, der ihr schon 1836 bei einem Besuch ausnehmend
     gut gefallen hatte.
    »Höchst liebenswert« fand sie damals den gleichaltrigen oder genauer gleichjungen Vetter Albert von Sachsen-Coburg-Gotha,
     Neffe des hoch geschätzten Onkels Leopold. Wenn der Cousin inzwischen nicht zum Wüstling verkommen oder an den Blattern erkrankt
     war, dann sähe sie ihn gern wieder, signalisierte sie, allerdings erst nach einigem Zögern, dem Onkel. Albert reiste daraufhin
     nach London, in

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