Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Frauen, die Geschichte machten

Titel: Frauen, die Geschichte machten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Barth
Vom Netzwerk:
Pogromen. Dann zog |233| das Volk, kaum gehindert von den Behörden, durch die Straßen, demolierte und plünderte jüdische Häuser und drangsalierte die
     Bewohner bis hin zu Mord und Totschlag. Die junge Golda bekam mit, wie eines Tages ihr Vater Fenster und Türen ihrer Wohnung
     vernagelte, weil wieder ein Pogrom bevorstand. Die Angst, die sie dabei ausstand, sollte zur prägenden Erfahrung ihres Lebens
     werden. Wann immer in späteren Jahren die Diskussion auf Maßnahmen kam, die der Staat Israel zu seinem Schutz ergriff, verwies
     sie auf ihre Erlebnisse in Kiew, die ja zugleich die kollektiven Erlebnisse eines ganzen Volkes waren. Nie mehr gejagt werden,
     nie mehr Opfer sein – das war es, was Golda Meir und ihre Generation antrieb, einen eigenen Staat zu gründen, in dem Juden
     sicher vor Verfolgung sein würden.
    Vater Mabowitsch ernährte seine Familie nur kümmerlich mit seinen Einkünften als Zimmermann. Ein Ortswechsel von Kiew zurück
     nach Pinsk (wo die Familie eigentlich herkam) vermochte daran auch nichts zu ändern. 1903 beschloss er, nach Amerika auszuwandern.
     Seine Frau zog mit den drei Töchtern (deren fünf Brüder waren alle früh gestorben) ins Haus der Großeltern. In Milwaukee im
     Bundesstaat Wisconsin fand Mabowitsch Arbeit. 1906 konnte er seine Frau und die Kinder nachholen. Für Golda war es eine Fahrt
     wie zum Mond. Allerdings waren sie nicht die einzigen russischen Juden, die nach Amerika auswanderten. Zu Tausenden flüchteten
     sie in das gelobte Land. Es gab aber auch schon einige, die es in diesen Zeiten nicht nach Westen zog, sondern die Zuflucht
     in Palästina suchten. 1882 hatten dort erstmals vermögende Juden Land von den Behörden des Osmanischen Reiches erworben, das
     damals den Nahen Osten beherrschte, und mit dem Aufbau von Siedlungen begonnen.
    Eine politische Bewegung war entstanden, der Zionismus, der die in alle Welt verstreuten Juden in Palästina sammeln und zu
     einer Nation zusammenführen wollte. In seiner Schrift »Der Judenstaat« (1896) hatte der Wiener Journalist Theodor Herzl der
     Bewegung das Programm gegeben. Die in Westeuropa lebenden assimilierten Juden, die zumeist gutbürgerliche Existenzen führten,
     vermochten der Idee, im türkisch verwalteten Palästina Landwirtschaft zu betreiben, wenig abzugewinnen. Bei den unterdrückten
     und verelendeten jüdischen Massen im Osten aber kam der Zionismus an. Auch in der Familie Mabowitsch war der Name Herzl geläufig.
     Bei seinem Tod 1904 schwor Goldas ältere Schwester Scheijna, künftig nur noch schwarze Kleidung zu tragen, und hielt das bis
     zur Ankunft in Amerika durch. Sie war es auch, die das Gedankengut der russischen Revolutionäre in die Familie trug. Denn
     nicht nur über die Heimstätte für das Volk Israel debattierten die jungen Juden in Russland, sondern auch darüber, wie eine
     gerechte Gesellschaftsordnung zu schaffen sei. Der Sozialismus sollte dann auch in den Gründungen der jüdischen Pioniere in
     Palästina eine bedeutende Rolle spielen.
    |234| Armut bestimmte die ersten Jahre der Familie Mabowitsch in Amerika. Unter diesen Umständen konnte der Vater seinen Kindern
     lange keinen Aufenthalt auf der Schule finanzieren. Ein praktischer Beruf, ein Ehemann, das war es, was er für seine Töchter
     vorsah. Golda rebellierte, sie wollte zur High School. Eines Tages packte sie ihre Sachen und verschwand. Bei ihrer Schwester
     Scheijna, die wegen ihres Asthmas nach Denver in Colorado hatte umsiedeln müssen, fand sie Unterkunft. Fast wäre sie dabei
     vom Regen in die Traufe gekommen, denn ihre Schwester versuchte sogleich, sie zur Mustersozialistin zu machen. Wieder zog
     sie aus und besorgte sich Arbeit, mit der sie ihren Lebensunterhalt bestreiten konnte. Dem Zionistenkreis, den Scheijna um
     sich versammelt hatte, blieb sie jedoch weiterhin erhalten. Hier lernte sie Morris Meyerson kennen, einen aus Litauen stammenden
     Juden, der sich als Plakatmaler durchschlug. Der junge Mann, gebildet, musisch interessiert, wurde ihre erste Liebe.
    Nach einem Jahr appellierte ihr Vater an sie, zur Unterstützung ihrer Mutter nach Milwaukee zurückzukehren. Golda tat es und
     fand ein verändertes Elternhaus vor. Die wirtschaftliche Lage hatte sich gebessert, der Vater ließ nun zu, dass sie die High
     School besuchte und sich auf einer Lehrerbildungsanstalt auf einen Beruf als Pädagogin vorbereitete. Nur politisieren sollte
     sie nicht. Aber auch diese Hürde wusste Golda zu nehmen. Sie

Weitere Kostenlose Bücher