Frauen, die Geschichte machten
in Berlin die Macht an sich zu reißen, in der Hoffnung auf eine Mobilisierung der »Massen«.
Doch nur eine Minderheit folgte dem Aufruf. Das Militär hatte daher leichtes Spiel und bekam die »Revolution« schnell in den
Griff.
|230| Nach Wochen der Verfolgung stöberten rechte Rollkommandos Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und weitere Spartakisten am 15.
Januar 1919 in der Wohnung eines Parteigenossen auf und verschleppten sie in das Militär-Hauptquartier im Hotel Eden. Dort
wurden sie verhöhnt, verhört und schwer misshandelt. Insbesondere Rosa hatte von den Uniformierten Schwerstes zu erdulden,
obwohl sie am Aufstand getreu ihren Prinzipien gar nicht teilgenommen hatte.
Beim Abtransport traktierte die johlende Meute ihre Gefangenen mit Gewehrkolben. Liebknecht wurde wenig später erschossen,
Rosa Luxemburg ebenfalls getötet oder tödlich verletzt in den Landwehrkanal geworfen. Erst am 31. Mai 1919 wurde ihr verwester
Leichnam geborgen und am 13. Juni auf dem Friedhof Friedrichsfelde beigesetzt. Die Täter gingen straffrei aus oder erhielten
eher symbolische Strafen. Der Haupttäter, Hauptmann Waldemar Pabst, wurde nach wenigen Wochen amnestiert und im Staat Hitlers
später als Held gefeiert.
Rosa Luxemburgs wurde als Ikone der Revolution von der DDR-Führung alljährlich mit einem Gedenkmarsch zum Todestag in Ostberlin
gedacht. Angesichts der Vereinnahmung durch die Stalinisten hätte sie sich höchstwahrscheinlich im Grab umgedreht. Schon eher
erfreut hätte sie dagegen der Versuch von DDR-Bürgerrechtlern, 1988 den Marsch in ihrem Sinn umzufunktionieren, worauf der
Staat mit über hundert Verhaftungen reagierte. 1989 veranstalteten die Dissidenten in Leipzig eine Gegendemonstration zum
Ostberliner Marsch und forderten in Rosa Luxemburgs Namen Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit: die Freiheit der anders
Denkenden.
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Golda Meir
Der einzige Mann in der Regierung
|232| »Unser Traum war wahr geworden. Der Bahnhof und die Häuser in der Ferne, der Sand, der uns umgab, all das gehörte zur Heimat
des jüdischen Volkes. Als wir in der grellen Sonne warteten und nicht wussten, wohin wir uns wenden sollten, fiel es uns schwer,
uns zu erinnern, aus welchem Grunde wir gekommen waren. Einer unserer Gruppe … wandte sich zu mir und sagte halb enttäuscht,
halb im Scherz: ›Na, Goldie, du wolltest nach Erez Israel kommen. Wir sind da. Jetzt können wir alle wieder gehen.‹ … Ich
lächelte nicht, als ich diese Worte hörte.«
Die Szene spielt sich in Tel Aviv im Jahr 1921 ab. Sie ist geschildert im Buch »Mein Leben« von Golda Meir. Die ehemalige
israelische Ministerpräsidentin gibt darin Rechenschaft über ihren politischen Weg, der sie bis an die Regierungsspitze des
jungen Staates in Nahost führte. Die beiläufige Bemerkung »Ich lächelte nicht« sagt viel über den Charakter der Autorin aus.
Nicht dass sie nicht lächeln konnte. Im Gegenteil, durch ihre Warmherzigkeit, ihren Humor und ihre Anteilnahme am Schicksal
anderer gewann sie Freunde in aller Welt. Aber es gab da auch eine andere Seite, die von Entschlossenheit, Hartnäckigkeit
und Aufrichtigkeit geprägt war. Nicht umsonst sagte ihr Mentor Ben-Gurion von ihr, sie sei der einzige Mann in seinem Kabinett.
Was diese Frau sich vornahm, das führte sie aus, gradlinig und zielstrebig, und sie ließ niemals Zweifel aufkommen, was sie
ernst meinte und was nicht.
In diesem Fall, 1921 in Tel Aviv, war auch
das
zentrale Thema ihres Lebens berührt. Es handelte sich schließlich um ihre Ankunft in »Erez Israel«, dem biblischen »Land der
Israeliten«, in dem die Juden nach 2000 Jahren Exil wieder eine Heimstatt begründen wollten, und daran mitzuwirken, sah Golda
Meyerson, die später ihren Nachnamen zu Meir (hebräisch: jemand, der erleuchtet, erhellt) verkürzte, als eine heilige Pflicht.
Als Golda Mabowitsch kam sie am 3. Mai 1898 in Kiew zur Welt. Die Juden fristeten im Zarenreich bekanntlich ein kümmerliches
Dasein. Man hatte ihnen im westlichen Russland, in der Ukraine, in Polen und in Litauen einen
Rayon
zugewiesen, in dem sie sich anzusiedeln hatten. Ausgeschlossen vom Bodenbesitz, war ihnen keine landwirtschaftliche Tätigkeit
möglich, sie lebten in den Städten, wo sie Handel und Handwerk trieben, oft genug in schärfster Konkurrenz untereinander und
mit den anderen Bevölkerungsgruppen. Deren Abneigung gegen das Judentum entlud sich von Zeit zu Zeit in
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