Frauen, die Geschichte machten
= Köln. Aber Agrippina war die Mutter des Kaisers Nero, zugleich auch eines
seiner vielen Opfer, und
er
war es nun mal, der im Gedächtnis der Nachwelt erhalten blieb und nicht seine Mutter.
Die Geschichte Agrippinas ist mit der mehrerer römischer Kaiser verknüpft. Geboren am 6. November 15 als Tochter des berühmten
Feldherrn Germanicus und seiner Frau Agrippina der Älteren, war sie dadurch auch eine Schwester Caligulas, der nach dem frühen
Tod des Vaters im Jahr 37 von den Prätorianern zum Kaiser erhoben wurde. Im gleichen Jahr brachte sie, seit 28 mit einem Angehörigen
des Kaiserhauses, Cn. Domitius Ahenobarbus, vermählt, ihren Sohn Nero (damals noch Lucius Domitius genannt) zur Welt. Im Jahr
39 war Agrippina in ein Komplott zum Sturz Caligulas verwickelt, das aber aufflog. Sie wurde zusammen mit ihrer Schwester
Livilla auf die Pontinischen Inseln verbannt. Nach Caligulas Ermordung und der Ausrufung des Claudius zum Kaiser konnte sie,
inzwischen Witwe, nach Rom zurückkehren, fand sich aber schon bald den Nachstellungen Messalinas ausgesetzt, die für ihren
Sohn Britannicus die Konkurrenz des Agrippina-Sohnes Domitius (= Nero) fürchtete. Tacitus behauptet, nur die Affäre mit Silius,
in den sie bis zum Wahnsinn verliebt gewesen sei, habe Messalina daran gehindert, Agrippina ein Verfahren wegen Verschwörung
oder Ähnlichem anzuhängen.
Nach Messalinas Tod brauchte Kaiser Claudius eine neue Frau. So jedenfalls Tacitus, der nicht müde wird, auf diese besondere
Schwäche des Claudius, nämlich seine Abhängigkeit von den Frauen, hinzuweisen. Agrippina machte das Rennen, sie stach dank
ihrer hochadligen Abstammung, ihrer erwiesenen Fruchtbarkeit und ihrer »Verführungskünste« (Tacitus) eine Reihe anderer aussichtsreicher
Kandidatinnen aus. Es gab allerdings ein ernstes Hindernis: Claudius war ihr Onkel. Aber die Klippe wussten die Ratgeber des
Kaisers zu umschiffen: Bei anderen Völkern gebe es sogar Geschwisterehen, machten sie im Senat geltend. Das Inzestverbot sei
ein alter Zopf, von Zeit zu Zeit müsse man prüfen, ob hergebrachte Sittengesetze noch mit dem modernen Leben übereinstimmten.
Den Rest erledigte eine Menschenmenge, die draußen auf der Straße dem Heiratsplan begeistert zustimmte.
Agrippina hatte kaum den Ehevertrag in der Tasche, als sie auch schon die |37| Zügel in die Hand nahm. Claudius schien sich aus den Regierungsgeschäften weitgehend zurückgezogen zu haben, möglicherweise
lag das an seinem vorgerückten Alter und einem schlechten Gesundheitszustand, sicher aber auch an der Dominanz, die Agrippina
entwickelte. Sie drängte in öffentliche Aufgaben hinein, so etwa bei der Unterwerfungszeremonie, die der besiegte Britannierhäuptling
Caratacus in Rom zu absolvieren hatte. Auch gegenüber Agrippina musste der Gefangene seine Verehrung erweisen. »Das war etwas
Neues«, stellt Tacitus fest, »dass eine Frau römische Truppen kommandierte. Sie gab sich damit als Teilhaberin der Herrschaft
aus.« Vor allem galt Agrippinas Augenmerk der Sicherung der Erbfolge. Von Anfang an war sie darauf bedacht, ihren Sohn aus
erster Ehe, den bereits erwähnten Lucius Domitius, später bekannt unter dem Namen Nero, zur Zeit der Eheschließung mit Claudius
elf Jahre alt, in eine günstige Position zu bringen. Als erstes besorgte sie ihm eine Ehefrau, Octavia, die Tochter des Kaisers
aus der Ehe mit Messalina. Das Mädchen war bereits mit einem angesehenen und populären Römer verlobt, aber das störte Agrippina
nicht weiter, sie initiierte eine Intrige, die den Ehemann in spe seine Ämter kostete, und in die Enge getrieben beging er
Selbstmord.
Auch bei der Wahl der Erzieher für den jungen Nero traf Agrippina die Entscheidungen. So wurde der Philosoph Seneca engagiert,
der so ins Zentrum der politischen Macht gelangte. Man kennt ihn heute als den abgeklärten, der Welt abgewandten Stoiker.
Das Bild rührt von den Schriften seiner späteren Jahren her, da Nero als Kaiser sich von ihm emanzipierte und Seneca nurmehr
als Warner auftrat. Als Erzieher des Knaben jedoch mischte sich der Philosoph durchaus ins politische Tagesgeschäft ein, schrieb
etwa Reden für seinen Schützling.
Im Jahr 54 ereignen sich wundersame Dinge, die als schlechte Vorzeichen gedeutet wurden. Tacitus, ganz Dramatiker, beschwört
in seinen Annalen die Stimmung, in der sich der Untergang des Claudius vollzieht. Ein Soldatenlager geht in Flammen auf, ein
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