Frauen, die Geschichte machten
Wahrlich ein bewegtes Leben: Als Tochter des Kaisers Theodosius I. des Großen geboren; verlobt mit dem Sohn des Heermeisters
Stilicho; beim Sturm der Westgoten auf Rom als Geisel verschleppt und in Gallien zur Frau eines Gotenkönigs gemacht; nach
kurzer Zeit Witwe, nach Ravenna übergesiedelt und einem General zur Frau gegeben; nach einigen Jahren wieder Witwe; wegen
Intrigen am Kaiserhof nach Konstantinopel ausgewichen; am Ende graue Eminenz in der Führung des Weströmischen Reiches. Der
Historiker Ferdinand Gregorovius (1821–1891) hatte da wohl Recht mit der Einschätzung, die er in seiner »Geschichte der Stadt
Rom im Mittelalter« über die römische Kaisertochter Galla Placidia traf: »Es gibt unter den Lebensgeschichten berühmter Frauen
wenige, die durch die Menge wechselnder und abenteuerlicher Ereignisse, durch den Reiz der Szenen oder der Lokale erstaunlicher
gewesen wäre.«
Am politischen Wirken der Galla Placidia lässt Gregorovius dann allerdings kein gutes Haar, er nennt sie »herrschsüchtig«
und »bigott« und eine echte Verkörperung des »sinkenden Roms« in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts. Überhaupt will er
eine gewisse Gesetzmäßigkeit der Geschichte erkennen, »dass in Epochen des Verfalls Gestalten von Frauen auftauchen, deren
Einfluss auf die Zeiten groß, und deren Schicksal zugleich ihr Sittengemälde ist«. Immerhin geht er nicht so weit zu behaupten,
dass Galla Placidia Schuld am Untergang des Weströmischen Reiches trage. Es ging vielmehr – das arbeitet auch der Historiker
des 19. Jahrhunderts deutlich genug heraus – an seinen eigenen Widersprüchen und äußeren Einwirkungen zugrunde, und die Hauptakteure
dabei waren Männer.
Überhaupt war das Römische Reich durch und durch eine Veranstaltung von Männern. Die Frauen besaßen keinerlei politische Rechte.
Sie konnten weder staatliche noch andere öffentliche Ämter bekleiden, sie durften nicht als Richter tätig sein, ja nicht einmal
als Vormund ihrer Kinder auftreten. Erben konnten sie nur, wenn keine männlichen Geschwister da waren. Lediglich im religiösen
Bereich gab es für sie Möglichkeiten, einen gehobenen sozialen Status zu erlangen. Priesterinnen genossen bedeutendes Prestige,
bestimmte Priesterämter waren Frauen vorbehalten, beispielsweise der Dienst für die Göttin Vesta, der allerdings die Jungfräulichkeit
voraussetzte. Das Christentum brachte den Frauen kaum Vorteile, auch unter der Herrschaft des Kreuzes wurden Frauen weiter
unterdrückt und in Unmündigkeit gehalten. Dass das Weib |43| schweige in der Gemeinde, wie es im 1. Korintherbrief heißt, galt auch den Kirchenlehrern des 4. und 5. Jahrhunderts als Maxime.
Wenn die Frauen etwas bewirken wollten, mussten sie sich an ihre Männer, Brüder oder Söhne halten. Selbst der Titel »Augusta«,
den die Frau erhielt, die mit dem Kaiser verheiratet war, machte sie noch nicht zur Herrscherin, die auch Befehle erteilen
konnte. Immer musste ein Mann vorgeschoben werden, in dessen Namen angeblich alles geschah. Dies war der Rahmen, in dem sich
auch Galla Placidia zu bewegen hatte.
Sie wurde im Jahr 389 als Tochter des Kaisers Theodosius I. des Großen und seiner zweiten Frau Galla geboren. Nach dem frühen
Tod der Eltern – die Mutter starb 394, der Vater ein Jahr später – übernahm Serena, eine Nichte des Theodosius, die Erziehung
der kleinen Galla Placidia. Serena war mit dem Wandalen Stilicho verheiratet, dem kommenden starken Mann am Kaiserhof, der
bald das Amt des Heermeisters einnehmen sollte – das höchste militärische Amt, das es im römischen Kaiserreich zu verteilen
gab. Da sich die Reichsverteidigung schon seit längerem hauptsächlich auf ausländische Hilfsvölker stützte, war es kein Wunder,
dass ein Germane auch als Generalissimus auftrat. Stilicho seinerseits tat alles, um seine Stellung zu festigen. Er betrieb
u. a. eine weitsichtige Heiratspolitik. Auch Galla Placidia spielte eine Rolle darin, er gedachte sie später einmal mit seinem
zwei Jahre älteren Sohn Eucherius zu verheiraten. Für Galla Placidias Bruder Honorius, den künftigen Kaiser, hatte er ebenso
eine passende Partnerin aus der eigenen Familie parat: seine Tochter Maria. Als diese früh starb, rückte die nächstjüngere
Schwester an ihre Stelle, Thermantia mit Namen. Beide Ehen blieben kinderlos, Honorius soll impotent gewesen sein.
Theodosius war der letzte Kaiser gewesen, der noch über ein
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