Frauen, die Geschichte machten
zwischen den Zivilisationen war damals noch
erheblich, verglichen mit der Stadt am Bosporus ging es im »Abendland« primitiv und armselig zu. In Konstantinopel hatten
sich die wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften und die Lebensformen der hellenistisch-römischen Kultur erhalten,
es gab kommunale Einrichtungen aller Art, von Badeanstalten bis zu Spezialkliniken für Chirurgie oder Hautkrankheiten. Es
gab Sportplätze, Turnhallen, Bildungsstätten. Durch die Stadt zogen sich kilometerlange Geschäftsstraßen mit Warenhäusern,
Restaurants und Hotels, und auf den Märkten wurden Lebensmittel und Gewürze aus aller Welt angeboten. Über 500 000 Menschen wohnten in Konstantinopel, mehr als in jeder anderen Stadt Europas, zu Tausenden waren sie bei Tag und Nacht
auf den Straßen unterwegs. In den Palästen der Reichen herrschte ungeheurer Luxus. Die Kirchen quollen über von Kunstwerken,
wertvollen Kultgegenständen und Reliquien. Alles, was an Christi Passion erinnerte, war hier gesammelt: Dornenkrone, Nägel
und Splitter vom Kreuz sowie das Blut des Herrn in Dutzenden von Glasphiolen.
Die Menschen im Byzantinischen Reich waren fanatisch fromm. Nicht bloß die Geistlichen, auch der gemeine Mann auf der Straße
konnte sich mit Hingabe der Diskussion theologischer Fragen widmen. Es gab jedoch noch eine zweite Leidenschaft, die die Bewohner
von Konstantinopel, ob von hohem oder niedrigem Rang, jung oder alt, einigte, und das war das Wagenrennen. Es war als Sport
im alten Rom in den Tagen der Republik aufgekommen und mit der Ausdehnung des Römischen Reiches auch in den Osten gelangt.
Das Verschwinden der alten Götter und die Einführung des Christentums hatten an der Begeisterung für die halsbrecherische
Volksbelustigung nichts geändert. Man hatte in Konstantinopel in zentraler Lage in der Nähe des Kaiserpalastes eine u-förmige
Anlage, ähnlich dem Circus Maximus von Rom, erbaut. Im Circus oder Hippodrom, wie man die Anlage griechisch nannte, fanden
wohl 50 000 Menschen Platz. Dreißig bis Vierzig steinerne Sitzreihen stiegen über der Rennbahn auf. Für den Kaiser gab es eine Extra-Loge,
die er von seinem Palast aus über einen Privatzugang erreichen konnte. Die Rennen dauerten Tage, und so lange sie dauerten,
waren den Menschen am Bosporus die Ereignisse der |57| übrigen Welt völlig egal. Das Wetttfieber grassierte, Unsummen wurden gewonnen und verloren. Gewalttaten der Unterlegenen
gegen die Sieger lagen immer in der Luft. Ein Zeitgenosse schrieb: »Das Wagenrennen hat bereits eine Reihe von großen Städten
zugrunde gerichtet … Für die Mannschaft kann ein Mann sein Vermögen aufs Spiel setzen, Martyrium und Tod erleiden, ja Verbrechen
begehen. Das Parteiinteresse hat Vorrang vor der Familie, dem Haus, dem Land und dem Gesetz. Männer und Frauen leiden an einer
Art Geisteskrankheit, und es herrscht ein allgemeiner Wahnsinn.«
Nicht nur wegen der sportlichen Leidenschaft besuchte man den Circus, sondern es wurde dort auch Politik gemacht. Die Zuschauermenge
verstand sich als Volksversammlung, die politische Entscheidungen bis hin zur Absetzung eines Kaisers treffen konnte. Entsprechend
griffen auch die so genannten Circusparteien, in deren Händen die Organisation der Wettkämpfe lag, die
Prasinoi
(»Grünen«) und die
Venetoi
(»Blauen«), ins politische Geschehen ein. Als Wirtschaftsbetriebe schon hoch bedeutend, hatten die Circusparteien eine Anhängerschaft,
die nach Zehntausenden oder gar Hunderttausenden zählte.
Im Circus wurde auch noch anderes geboten. Schauspieler, Sänger und Musiker traten auf, Artisten zeigten ihre Künste, Spaßmacher
rissen Witze, und es gab dressierte Tiere zu sehen. Einige Schausteller besaßen Dauerquartiere und Lebensstellungen, die ihnen
von den Betreibern der Vergnügungsstätten, den Grünen oder den Blauen, gewährt wurden. Der Circus war eine Welt für sich,
die gute Gesellschaft kam, um sich an den Spielen zu ergötzen, weiteren Kontakt suchte sie aber nicht. Schausteller waren
kein Umgang, sie hausten in Behelfsquartieren in den Katakomben des Gebäudes oder außerhalb, und mit ihnen das »Strandgut«
der Stadt, Bettler, Huren und Kleinkriminelle. Wer hier bestehen wollte, musste stets wachsam sein und brauchte ein gehöriges
Maß an Brutalität.
In dieser Umgebung kam Theodora, die später einmal Kaiserin von Byzanz werden sollte, um das Jahr 500 zur Welt. Ihr Vater,
Akakios mit
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