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Frauen, die Geschichte machten

Titel: Frauen, die Geschichte machten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Barth
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die beiden Feldherren Belisar und Mundus zufällig in der Stadt.
     Sie hatten Söldnertruppen dabei, Goten und Heruler, die keine Ahnung von den inneren Verhältnissen des Byzantinischen Reiches
     hatten und daher ohne weitere Bedenken gegen die Aufständischen marschierten. Diese ließen sich aber nicht auf eine direkte
     Konfrontation ein, sondern verwickelten die Söldner auf den Straßen in einen zähen Guerillakampf, in dem keine Seite die Oberhand
     bekam. Brände wüteten in der Stadt, ganze Viertel fielen den Flammen zum Opfer. Justinian wagte sich in die Höhle des Löwen:
     Im Circus richtete er eine Ansprache an die versammelte Menge und versprach Amnestie für die Aufrührer und eine wohlwollende
     Prüfung der Forderungen des Volkes. Das half nichts, die Menge brüllte ihn nieder, und als er den Ort verlassen hatte, wählte
     sie einen Gegenkaiser, einen Neffen des früheren Kaisers Anastasios namens Hypatios, einen eher ängstlichen Menschen, dem
     vor dem Ganzen graute und der sich am liebsten sofort davon gemacht hätte. Davon, dass der Prätendent seiner Sache so wenig
     sicher war, wussten Justinian und seine Getreuen allerdings nichts, sie nahmen die an Hypatios im Hippodrom vorgenommene Krönung
     für bare Münze. Die |61| Hauptstadt schien verloren. Justinians Vertraute rieten ihm zu fliehen, am besten per Schiff. Der Kaiser schwankte.
    In diesem Augenblick erhob Theodora, die der Beratung beiwohnte, ihre Stimme. Der Wortlaut ihrer Rede ist von Prokop, ihrem
     Chronisten und dezidiertem Feind, überliefert. Offen bleibt, welcher Intention seine Wiedergabe der Rede folgt, doch präsentiert
     sie Theodora als entschlossene Frau, die ihrem Mann und der verzagten Männerrunde die Leviten las: »Ob eine Frau den Männern
     ein Beispiel an Tapferkeit geben soll, das zu entscheiden ist hier nicht der Ort. Im Augenblick der äußersten Gefahr muss
     man das Nötige tun. Ich jedenfalls glaube, dass die Flucht für uns nicht von Vorteil ist, auch wenn sie Rettung bringen sollte.
     Jeder, der das Licht der Welt erblickt, muss sterben. Dass aber ein Kaiser seine Tage als Flüchtling zubringen muss, dieser
     Gedanke ist mir unerträglich. Möge ich nie ohne diesen Purpur sein, möge ich den Tag niemals erleben, an dem mich die Menschen
     nicht mehr ›Herrin‹ nennen. Wünschst du Sicherheit, o Kaiser, ist das Problem einfach zu lösen. Wir sind reich, und dort ist
     die See, da unsere Schiffe. Sieh aber zu, dass dich nach der Rettung nicht das Verlangen ankommt, den Tod dieser Rettung vorzuziehen.
     Was mich betrifft, liebe ich das alte Wort: ›Der Purpur ist das schönste Leichentuch.‹«
    Es war Theodoras Sternstunde. Ihre standhafte Haltung imponierte, ihre Mahnung, nicht aufzugeben, drang zum Volk durch. Agenten
     wurden ausgeschickt, die zwischen Blauen und Grünen Zwietracht säten. Belisar und Mundus verschafften sich mit ihren germanischen
     Söldnern Zugang zum Circus und veranstalteten dort ein Blutbad, dem angeblich 30   000 Menschen zum Opfer fielen. Hypatios, der Kaiser wider Willen, wurde vor Justinian geführt. Der wollte ihm eigentlich das
     Leben schenken, aber Theodora widersprach: Die Staatsräson erfordere den Tod jedes Aufrührers. Justinian folgte seiner Frau
     und ließ Hypatios hinrichten.
    Nach der Niederschlagung des Nika-Aufstandes gab es keinen Widerstand mehr gegen die politischen Pläne Justinians. Die Kriege
     zur Wiederherstellung der römischen Macht im Westen nahmen ihren Lauf, das Reich der Wandalen in Nordafrika wurde zerschlagen,
     der Angriff auf das Westgotenreich in Spanien war teilweise erfolgreich, das Reich der Ostgoten in Italien ging in zwanzig
     Jahre dauernden Kämpfen vollständig unter. Lange vermochten sich die Byzantiner jedoch nicht in Rom zu halten, da schon der
     nächste Germanenstamm sich zum Einfall nach Italien anschickte: die Langobarden. Dauerhafter blieb ein anderes Werk, das Justinian
     unternahm und mit dem sein Name auch bis heute verbunden ist: die Niederschrift des
Corpus Juris Civilis
, der Sammlung des römischen Rechts, die auf Veranlassung des Kaisers 528 bis 534 vorgenommen wurde.
    Theodora regierte mit, und zwar ganz offiziell. Beamte legten ihren Amtseid auf Justinian
und
Theodora ab. Das war in der Verfassung nicht vorgesehen |62| und auch noch nicht vorgekommen. Es hatte am byzantinischen Kaiserhof wohl Frauen gegeben, die aus dem Hintergrund agierten.
     Aber dass eine Kaiserin selbstbewusst und offen ihren Anteil am

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