Frauen fragen Feuerstein
fünf Schilling und ein gekochtes Ei — was mir sehr unangenehm war, da sie das Ei immer schon vorher aß und dann mit gelben Mundwinkeln auf mich einschrie, ganz nah, wie das eben so ist, wenn man zu zweit auf der Klavierbank sitzt. Ihr Unterricht war karg und bestand hauptsächlich aus Tonleitern und Czerny-Etüden, dieser musikalischen Form der Prügelstrafe, aber sie erzählte mir viel über Mozart und Haydn, sowie dass sie bei der »Freischütz«-Ouvertüre immer weinen müsse. Ich fragte mich, ob dann wohl Eigelb aus ihren Augen rinnen würde.
Als Belohnung, wenn die Tonleitern sauber bestiegen und die Czerny-Prügel tapfer weggesteckt waren, gab’s am Schluss der Klavierstunde was Vierhändiges, Nicht immer war das freilich eine Belohnung, denn Fräulein Bargezi spielte grauenhaft und griff manchmal gewaltig daneben. Wenn das passierte, schrie sie sofort auf mich ein, damit meine Mutter in der Küche glauben sollte, ich hätte eben »gepatzt« — wie man in Österreich sagt.
Mein persönliches Renommierstück als Vierzehnjähriger war die Mozart-Fantasie in C, KV 475. Sie ist so ganz anders, als man Mozart gewohnt ist. Ein merkwürdiges, fast falsches Pathos mit beinahe parodistischen Zügen steckt drin, ein Stück, das für mich verkanntes, vierzehnjähriges Genie mit Brille und Haarpomade verdammt viel hergab. Denn sie ist nicht sonderlich schwer, aber eindrucksvoll, Und das war wichtig für mich, denn inzwischen war das fahlbraune Klavier gegen einen zwar gebrauchten, aber immerhin richtigen, schwarzen Flügel eingetauscht worden, der fast mein ganzes Zimmer ausfüllte und über den Balkon ins Haus gehievt werden musste, weil die Eingangsdiele zu eng war. Noch wichtiger aber war der Wandspiegel daneben, in dem ich mich beim Spiel beobachten konnte, damit ich es auch genau richtig machte, wie in diesem tollen Chopin-Film, den ich mir mehrmals angesehen hatte, mit diesem blassen Dämon mit fliegenden Haaren, verzückte Besessenheit im Ausdruck, totale Hingabe trotz tödlicher Krankheit, bis Blutstropfen auf die Tasten tropften...
Ja, genauso würde es auch bei mir sein, vielleicht nicht unbedingt mit Blutstropfen, aber auf alle Fälle als größter Pianist aller Zeit — denn der würde ich werden, dessen war ich sicher. In aller Unschuld dachte ich damals, ich sei ein Musiker, aber in Wahrheit war ich ein eitler Pfau, ein Showmensch und Möchtegern, der die Musik nur als Vehikel für seine Beifallssucht benutzt, ohne ihr demütiger Diener zu sein.
Im Zustand dieser Unschuld ließ ich mich im Salzburger Musiktempel einschreiben, dem Mozarteum, eine Art Schicksalsfluch: Genau wie jeder amerikanische Junge — und inzwischen auch jedes amerikanische Mädchen — überzeugt ist, eines Tages Präsident zu werden, spürt man als Mozarteumsschüler die unabdingbare, freilich niemals laut ausgesprochene Verpflichtung, Mozart zu übertreffen — und sei es nur darin, früher als er zu sterben. Mozart starb mit 36... nicht mal das habe ich also geschafft.
Meine Fächer waren Harmonielehre, Musikgeschichte und Cembalo. Der Grund für das Letztere war kein musikalischer, sondern ein praktisch-effektiver: Als Konzertpianist, so spekulierte ich, würde ich nie gegen die riesige Konkurrenz bestehen, Cembalo-Spieler hingegen gibt’s weniger, und der Arbeitsplatz ist gesichert. Wo Barock, da Cembalo — und das Wichtigste: Als Cembalist steht man immer auf dem Programmzettel, auch wenn man von ihm nicht viel mehr hört als gelegentlich ein silbernes Flirren.
Ich ging also an die Musik wie ein Börsenspekulant an den Futures -Markt, mit Gewinnmaximierung bei geringstem Anlagevolumen. Und tatsächlich: Am 25. November 1953 stand im Rahmen des wöchentlichen Vortragsabends im Wiener Saal des Mozarteums nicht nur der Name Antonio Vivaldi auf dem Programm, sondern auch Herbert Feuerstein. Ganz zum Schluss, als Letzter unter den Mitwirkenden, aber gut sichtbar, Continuo : Herbert Feuerstein. Ich.
Continuo ist das »Dahinfließende«, das »Verbindende«, es erinnert ein bisschen an » Continuity « im Film, an den Anschluss, damit man in der nächsten Szene dieselbe Krawatte trägt wie in der Szene zuvor, oder als Leiche die Schusswunde auch beim Sezieren noch an derselben Stelle hat wie am Tatort. Continuo ist das Flussbett für die Musik, der Keilriemen für ihre Motorik... aber wer will, selbst bei einem Ferrari, ewig nur Keilriemen sein?
Zum Glück gab es die Liedklasse, Professor Ernst Reichert, mein
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