Frauen lügen
gründlich die Meinung zu sagen, ist kaum zu bezähmen.
Doch jetzt hört sie durch die Tür, wie die beiden Kollegen das Gebäude verlassen. Und der Ärger darüber, dass die Männer es nicht für nötig gehalten haben, ihre Rückkehr abzuwarten, um sie über das weitere Vorgehen zu informieren, ist nichts gegen die Erleichterung, die Silja bei dem Gedanken empfindet, für einige Zeit allein im Büro sein zu können.
Sie schließt den Wasserhahn, trocknet sich Hände und Schläfen ab und geht langsam die Treppe hinunter. Nur wenige Meter vom Polizeigebäude entfernt ist ein Zeitungskiosk. Die Schlagzeile der
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ist tatsächlich nicht zu übersehen. Silja kauft ein Exemplar, rollt es verschämt zusammen und kehrt schnell ins Kommissariat zurück.
Oben öffnet sie das Fenster weit, um die letzten Reste von Bastians Rasierwasserduft aus dem Raum zu vertreiben. Silja hat ihm das Aftershave zu Weihnachten geschenkt, und die Vorstellung, dass Bastian vermutlich jeden Morgen an sie denkt, wenn er den Duft aufträgt, macht sie schon wieder aggressiv. Die anschließende Lektüre des
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-Aufmachers ist wenig geeignet, ihren Adrenalinspiegel zu senken. Der Artikel enthält einige Seitenhiebe auf die sich dahinschleppenden Ermittlungen. Spöttisch wird gefragt, wodurch ein betrügerischer Ehemann, der zudem der Besitzer der Mordwaffe sei, sich denn noch verdächtig machen müsse, bis die Polizei sich seiner annähme. Kein Wunder, dass Bastian sauer ist.
Silja tritt ans Fenster und beugt sich weit hinaus. Die Luft ist warm und sanft. Ein leichter Wind trägt den Meergeruch bis in die Westerländer Innenstadt, wo er sich neben den Abgaswolken zu behaupten versucht.
Langsam beruhigt sich Silja. Eigentlich ist es mit der Meerluft und den Abgasen so wie mit der Polizeiarbeit und der Presseeinmischung. Das eine ist gut, das andere schlecht, jedenfalls aus Sicht der Ermittler. Aber manchmal ist so ein kleiner Nasenstüber doch ganz hilfreich, um die eigene Sichtweise zu korrigieren, auch wenn Silja die Befürchtung nicht los wird, dass die beiden Kerle jetzt überreagieren werden.
Seufzend setzt sie sich an ihren Schreibtisch. Dort liegt ein hoher Stapel, bestehend aus Heftern, Fax-Kopien und Briefen, die die neuesten Rechercheergebnisse zu ihrem aktuellen Fall betreffen. Drei anonyme Briefschreiber wollen den Mörder ausgemacht haben. Zwei weitere wettern gegen das Establishment und kündigen mit markigen Worten Anschläge auf andere Sylter Hotelbesitzer an – natürlich ebenfalls ohne Unterschrift und Absender. Genervt schiebt Silja die Papiere zur Seite und schlägt einen dunkelblauen Klapphefter auf. Das Labor teilt mit, dass die in Auftrag gegebene DNA -Analyse einiger Hautpartikel an Susanne Michelsens Tasche abgeschlossen ist, aber leider keine Übereinstimmung mit den gespeicherten Daten ergeben hat.
Das kann alles heißen. Entweder der Mörder oder die Mörderin ist nicht polizeibekannt oder er oder sie kommt ganz einfach nicht aus dem Kreis der Verdächtigen, die eine Speichelprobe haben abgeben müssen. Es kann aber auch bedeuten, dass der Hautfetzen von irgendeiner Taschenverkäuferin stammt oder von einem Kellner, der Susanne Michelsens teure Tasche hilfsbereit vom Boden aufgehoben hat, nachdem sie im Restaurant oder Café von der Stuhllehne gerutscht war.
Silja seufzt und schlägt frustriert die nächste Akte auf. Die Verkaufsstelle einer Prepaid-Handykarte ist ermittelt worden. Zunächst weiß Silja nicht, worum es sich handelt, doch dann fallen ihr die ungeklärten abgehenden Anrufe von dem Handy der Schauspielerin Marie Nussbaum ein. In wessen Tasche dieses Prepaid-Handy gerade steckt, wird nicht herauszufinden sein, aber wo die Karte gekauft worden ist, mit der es betrieben wird, hat sich klären lassen. Es ist ein Zeitungskiosk in Hamburg, dessen Adresse Silja nichts sagt. Sie fährt den Rechner hoch und gibt die Anschrift ein. Der Marker auf dem Stadtplan zeigt ihr einen Punkt an der südlichen Binnenalster. Silja vergrößert die Ansicht, bis alle öffentlichen und kommerziell genutzten Gebäude in der unmittelbaren Umgebung sichtbar werden. Die Kommissarin braucht einen Moment, um sich zu orientieren, aber dann sieht sie es: Das Thalia Theater ist zu Fuß zu erreichen. Die Bank, auf der Marie Nussbaum ihr Handy vergessen haben will, befindet sich in unmittelbarer Nähe des Kiosks. Und noch etwas liegt direkt nebenan: das Design-Hotel
Hampton
, in dem Marie Nussbaum logiert, wenn sie vor den
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