Frauen lügen
kündet, dass die Staatsanwältin das Mobilteil ihres Telefons zurück in die Halterung gefeuert hat, hallt in Bastians Ohr nach. Er legt das Telefon zur Seite, greift mit langsamen Bewegungen nach seinem Kaffeebecher und lässt dessen mittlerweile abgekühlten Inhalt in einem einzigen Schwall die Kehle hinunterlaufen. Als Pubertierender hat er ausdauernd dafür geübt, den Schluckreflex willkürlich aussetzen zu können, aber es ist einige Zeit her, dass Bastian Kreuzer es nötig hatte, von dieser lächerlichen Fertigkeit Gebrauch zu machen. Und dann auch noch ohne Zeugen und nur um sich selbst zu imponieren. Das Selbstmitleid überschwemmt ihn in einer kräftigen Woge, und er hat Mühe, dabei nicht unterzugehen. Um sich abzulenken, greift er nach dem belegten Brötchen, das er auf dem Weg zum Kommissariat in einer Bäckerei gekauft hat. Krachend beißt er hinein und hört, weil die Kaugeräusche in seinen Ohren knacken, erst leicht verspätet, dass Silja die Bürotür öffnet. Sie trägt eine graue Leinenhose, die er noch nie an ihr gesehen hat, und eine hochgeschlossene, aber ärmellose helle Bluse aus dem gleichen Material. Die Haare sind im Nacken zu einem strengen Knoten gesteckt, und der Duft ihres Shampoos füllt in Sekundenschnelle den Raum.
»Guten Morgen und guten Appetit«, erklärt Silja ohne Wärme in der Stimme und ohne Bastian auch nur anzusehen.
Bastian spürt, wie noch mehr Wut in ihm hochsteigt. Aber solange er kaut, muss er sich wenigstens keine Gedanken über eine angemessene Begrüßung machen. Zügig beißt er ein weiteres Mal von seinem Brötchen ab.
»Was liegt heute an?«
Siljas Stimme ist leise und fest. Sie gönnt Bastian nun doch einen ihrer unterkühlten Blicke, setzt sich dann aber sofort an ihren Schreibtisch und senkt den Kopf über einen Aktenstapel.
Bastian schluckt den trockenen Bissen herunter und brummt: »Eben hat die Bispingen angerufen.«
»Was wollte sie denn? Du hast doch gestern schon mit ihr telefoniert.«
»Wir sind die Schlagzeile der
Bild
-Zeitung. Bundesweit.«
»Wie wir? Du und ich?« Silja wird blass, ihre Augenlider flattern. Bastian kennt diese Reaktion genau, und immer hat sie einen sofortigen Schutzimpuls bei ihm ausgelöst. Auch jetzt muss er sich sehr beherrschen, um nicht aufzuspringen und Silja tröstend in den Arm zu nehmen. Doch da hat sie schon selbst bemerkt, dass sie sich verraten hat.
»Du sprichst nicht von uns, sondern von unserem Fall, nehme ich an.«
Ihr Tonfall ist außerordentlich geschäftsmäßig.
Wie du willst, denkt Bastian und antwortet ebenso kühl: »Ganz recht. Die
Bild
-Zeitung titelt: ›Deutschlands lustigster Witwer‹, was die Bispingen gar nicht lustig finden kann. Und jetzt will sie Taten sehen.«
»Wir sollen jemanden verhaften?«
»Schon falsch. Nicht jemanden, sondern IHN . Den großen Buhmann. Jonas Michelsen.«
»Sei doch froh, dann bist du ja am Ziel deiner Wünsche.«
»Seit wann kennst du dich mit meinen Wünschen aus.«
Gern hätte Bastian weitergeredet, aber Silja unterbricht ihn schroff.
»Lass das, ja. Ich brauche keine Privatunterhaltung. Mir geht’s gut ohne dich. Und ich wäre dir dankbar, wenn du dich entsprechend verhalten würdest.«
Bevor Bastian diesen Angriff parieren kann, öffnet sich erneut die Bürotür, und Sven Winterberg kommt herein. Mit wenigen Blicken hat er die Situation erfasst und versucht intuitiv, die Stimmung aufzulockern.
»Moin, Moin, ihr beiden. Gibt’s schon wieder Krieg?«
»Halt die Klappe«, faucht Silja und erntet für ihre vergleichsweise drastische Wortwahl von beiden Männern erstaunte Blicke. Doch dann bricht Bastian in Lachen aus.
»Das Mäuschen zeigt die Krallen«, kann er gerade noch sagen, dann springt Silja auf und verlässt türenknallend das Büro.
»Was ist hier denn los? Wenn ich gewusst hätte, dass ich direkt ins Wespennest trete, wäre ich unten bei den Kollegen geblieben und hätte mich telefonisch angekündigt.«
»Madame hat offenbar beschlossen, die Unverwundbare zu geben«, erklärt Bastian mit kaum verhohlener Wut in der Stimme.
»Tja, mein Lieber, das ist ihr gutes Recht, oder etwa nicht?«
»Jetzt fall du mir nicht auch noch in den Rücken. Ich habe vorhin schon die Bispingen in der Leitung gehabt. Eigentlich müssten die Wunden von den Dolchstößen noch deutlich zu erkennen sein.«
»Armes Schwein. Aber tröste dich, du hast es immerhin überlebt. Das kann nicht jedes ihrer Opfer von sich behaupten.«
»Sie hat mir die Schlinge schon
Weitere Kostenlose Bücher